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Diese Geschichte entstand in einem Diskussionsbeitrag des Harry Potter Lexikons als eine Geschichtenkette in einem Zeitraum von 8 Monaten. Das heißt mehrere Nutzer beteiligten sich inhaltlich am Fortgang der Geschichte, ohne dass es Absprachen zwischen ihnen gab. Widersprüchliche Aussagen oder logische Ungereimtheiten mögen daher verziehen werden.
Die Hauptautoren ab einem gewissen Zeitpunkt waren Hermine Lestrange27 und Schnuffel97, welche für grammatikalische Korrekturen und die Veröffentlichung auf dieser Seite verantwortlich zeichnen. Die Einsicht aller Autoren und des originalen Wortlautes kann über den originalen Diskussionsbeitrag erfolgen.
Nun wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen dieser Fanfiction. Kritik oder Lob nehmen wir gerne in den Kommentaren oder unter dem Originalbeitrag entgegen. Vielen Dank.
Hermine Lestrage27 und Schnuffel97


Unerwarteter Besuch[]

Es war eine lauwarme Sommernacht und am Himmel funkelten die Sterne. Alles schien zu schlafen, nur Carina war noch wach. Sie saß auf der Dachterrasse, die an ihrem Zimmer grenzte und betrachtete verträumt die Sterne. Sie schwang ihren Zauberstab leicht und ein rosa Wölkchen stieß aus ihrem Stab hervor. Sie schüttelte leicht den Kopf, griff sich ihr Notizbuch und notierte sich etwas, als es plötzlich einen Rumms gab und eine mit Ruß verschmierte Person aus dem Kamin in ihrem Wohnzimmer kam, welches nebenan lag. Carina seufzte und legte das Notizbuch zur Seite: „Alec.“
Alec kam rußverschmiert und hustend aus dem Kamin und strich sich durch die Haare. „Na Cari? Erfindest schon wieder Zaubersprüche?“, fragte er lächelnd und setzte sich neben sie.
Sie schlug ihr Buch zu und erklärte genervt: „Hab ich nicht gesagt du sollst mich nicht so erschrecken? Soll ich den Kamin sperren oder was?“
Er stupste sie an und flüsterte: „Bist du mir böseeee...?“
Carina huschte ein kleines Lächeln übers Gesicht und erklärte: „Neeeiinnn. Ich – also der Zauberspruch klappt wieder nicht...“
Er spickte zum Buch und fragte neugierig: „Lass mal sehen Cari...“
Carina aber hielt es schnell weg von ihm und sprach: „Neiinn, noch nicht – und nenn mich nicht so...“
Alec lächelte verführerisch und flüsterte ihr ins Ohr: „Stell dich nicht so an, erstens ist das ein hübscher Spitzname, meiner Meinung, und zweitens kann ich dir vielleicht helfen. Also lass mich mal sehen.“
Widerwillig streckte Carina ihm ihre Notizen entgegen und drehte sich demonstrativ weg um ihre roten Wangen zu verheimlichen. Alec las konzentriert und wisperte die Zauberformel, dann probierte er sie aus. Er schwing seinen Stab auf unterschiedlichsten Arten, aber es klappte nicht wirklich gut, bei ihm verließ nur rosa Dunst stoßartig die Spitze.
„Du musst es anders aussprechen Alec, die Betonung liegt auf dem _a_ nicht auf dem _o_.“
Nun spie auch Alec's Zauberstab Wölkchen aus und er sprach verwundert aus: „Die sind wirklich hübsch...“
Carina errötete und drehte sich deshalb nur noch mehr weg: „Danke aber sie sind noch zu hell. Außerdem sollten sie in allen Farben erscheinen. Nicht nur in rosa.“
„Vielleicht solltest du einfach nicht mitten in der Nacht üben? Ich mein – du könntest ja einfach morgen weitermachen.“
Er lächelte Carina charmant an, sodass sie ebenfalls lachen musste. Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf. Alec schaute ihr nach und Carina lief zu ihrem Teleskop, das an der anderen Ecke der Dachterrasse stand. Es war Gold und Silber und hatte schon viele abgenutzte Ecken, denn es war von ihrem Großvater. Er ist schon tot... sie hatte früher immer viel Spaß mit ihm gehabt. Am Teleskop angekommen fiel ihr es wieder ein und senkte traurig ihren Kopf.
„Was ist, Cari?“ fragte Alec und legte den Kopf schief. Er musterte ihr traurig wirkendes Gesicht, sah es sich genau an und betrachtete jedes einzelne Detail, jeden ihrer Gesichtszüge.
Er sah das Teleskop und wusste nun warum sie so traurig schaute...
„Oh, es ist wegen deines Großvaters, richtig?“ fragte Alec, obwohl er das Gefühl hatte, dass er die Antwort schon wusste. Er kam ein paar Schritte auf sie zu, legte den Kopf wieder schief und versuchte aufmunternd zu lächeln.
„Naja er fehlt mir halt und das Teleskop ruft viele Erinnerungen von damals hervor. Manchmal wünsch ich mir diese Zeiten zurück...“ Carina verwischte eine winzige Träne und drehte sich zu Alec. Bei ihm hatte sie keine Furcht solche Gefühle zu zeigen. Er nahm Carina tröstend in den Arm.
„Es ist alles gut, okay? Wenn irgendetwas ist, kannst du mir jederzeit Bescheid sagen, okay?“ sagte er mit beruhigender Stimme und streifte ihr sanft über die Haare.
Sie schniefte einmal und flüsterte: „Danke...“
Er lächelte wieder und sah ihr in die Augen.
Nachdem sie eine ganze Weile so dasaßen, beschlossen sie, zurück ins Wohnzimmer zu gehen. Mittlerweile trieb ein stürmischer Wind die Wolken voran, die die Benutzung des Teleskopes unmöglich gemacht hätte, selbst, wenn Carina gewollt hätte. Genau in dem Moment, als Alec die Tür hinter ihr schloss, erloschen die Lichter und ließen die beiden in völliger Dunkelheit stehen.
Was war denn jetzt los? Vielleicht Stromausfall? Plötzlich wurde es auch kalt.
„Alec was ist das?“ Carina zitterte am ganzen Körper.
Beide sahen aus dem Fenster. Es war tiefschwarze Nacht, auch die Straßenlaternen waren erloschen. Man konnte absolut nichts erkennen, da auch aus den anderen Fenstern kein Licht mehr drang... Nichts, außer zweier Taschenlampen, die Carina plötzlich aufflammen sah, dort an der Straßenecke – dort, wo der Stromkasten stand...
Was sollte das Ganze? War das nur ein Streich der Muggeljungen von nebenan? Oder war es das, was beide befürchteten, es aber nicht auszusprechen wagten?
Es war eisig kalt und die Oberfläche der Straßenlaternen war gefroren. Der Wind hatte schlagartig aufgehört und dafür war es windstill und eiskalt wie im Winter, obwohl sie doch Sommer hatten. 
Das konnte nur eines bedeuten: Dementoren, hier in Gleeston. Ein überwältigendes Gefühl der Hoffnungslosigkeit erfüllte Carinas Herz, sie wusste, es gab keinen Ausweg, sie wusste, sie würde ihren Großvater niemals wieder sehen...

Alec sah Carina vollkommen reglos dastehen. Sie ließ sich nicht bewegen, schien der Ohnmacht nahe. Zaghaft zog er seinen Zauberstab. Theoretisch wusste er, was zu tun war, doch hatten seine Versuche, einen Patronus herauf zu beschwören selbst ohne die Anwesenheit eines Dementors nie Erfolg gehabt.
Doch schon glitten sie am Balkonfenster entlang nach oben, drei dunkle Gestalten, eingehüllt in schwarze Umhänge, die Gesichter von Kapuzen verhüllt. Alec hob den Zauberstab, ein Hauch bläulichen Dunstes kam aus ihm hervor, verblasste wieder, wurde von der Dunkelheit verschlungen...
Plötzlich erschien eine Gestalt, wunderschön, in leuchtend hellem blau, die Dementoren attackierend. Und dann sah Alec nichts mehr.  Ihm wurde schwarz vor Augen. Er spürte nur noch den leichten Aufprall, als er zu Boden fiel und in den Schlaf sank...
Das Nächste, was er sah, war ein verschwommenes Gesicht. Allmählich wurde alles klarer und er erkannte Carinas Gesicht. Sie saß neben ihm und blickte ihm in seine strahlend blauen Augen.
„Was... was ist passiert?“
Er wollte sich aufsetzten und Carina half ihm: „Vorsichtig! Du musst dich ausruhen!“ Er war in ihrem Zimmer auf ihrem Bett und eine helle Lichtkugel schwebte an der Decke. Carina drehte sich kurz um und nahm etwas vom Nachttisch: „Hier iss! Das soll helfen...hab ich gehört.“
Sie reichte ihm ein Stück Schokolade und lächelte. Es war seltsam... eigentlich lächelte Alec immer zurück und war ein lebensfroher Mensch, doch es schien als wäre all seine Fröhlichkeit verborgen. Für diesen einen Moment...
Carina hörte auf zu lächeln. „Ich weiß, wie du dich fühlst. Mir ging es genauso, bis vor ein paar Stunden. Aber dich scheint es wirklich hart getroffen zu haben.“
Alec sah immer noch verdutzt drein. „Aber was ist passiert? Wer hat die Dementoren vertrieben?“
Bevor Carina antworten konnte, ging die Tür zum Bad auf und ein Mann mittleren Alters kam herein. Er trug einen langen Reisemantel und war trotz der Wärme, die wieder herrschte, sehr warm angezogen. „Das war ich.“
Verblüfft sah Alec ihn an. „Sie? Wie in Merlins Namen haben Sie das geschafft?“
„Oh... das war ich natürlich nicht allein.“ Plötzlich sah er etwas verlegen aus. „Ich glaube, ich muss mich vielmals bei euch entschuldigen. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich war gerade mit meinen Kollegen dabei, diese Gestalten zu eskortieren, und wir haben schon fast damit gerechnet, dass sie versuchen werden uns zu entwischen. Als wir an diesem Ort vorbeikamen und plötzlich der Strom ausfiel, haben sie vermutlich überall die Furcht der Menschen in der Dunkelheit gespürt und sind entkommen - direkt hierher.“
Nun stand auch bei Carina Entsetzen, aber auch eine große Portion Wut im Gesicht. „Soll das etwa heißen, dass wir wegen euch fast gestorben wären!?“
„Teilweise ja und teilweise nein... aber belassen wir es doch einfach dabei das ich euch gerettet habe.“ Der Mann lief federnd durch den Raum und streckte Carina die Hand entgegen: „Remus Lupin. Und ihr seid Carina McMay und Alec Moher.“

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„Aber woher wissen sie…“, setzte Alec an und stand vom Boden auf, doch der Mann, der sich als Remus vorgestellt hatte unterbrach ihn mit ernster Miene.
„Eure Großeltern haben uns einst große Dienste erwiesen, als sie mit uns Seite an Seite gekämpft haben. Wir haben gehört das ihr exzellente Kämpfer seid und nicht viel vom Ministerium haltet. Nun erwarten wir, dass ihr in die Fußstapfen eurer Großeltern tretet.“
„Aber wer seid ihr?“ fragte Carina zögerlich.
„Wir sind der Orden des Phönix.“
„Aber – Moment mal… was sind wir? Exzellente Kämpfer?“ Alec musste fast laut loslachen, riss sich dann aber doch zusammen. „Ich meine – wir haben es nicht mal geschafft, die Dementoren los zu werden.“
Lupin jedoch sah ihn nur an und meinte: „Ein Kämpfer muss nicht zwingend gut mit dem Zauberstab sein. Doch mit dem Herzen kämpfen, das muss er können.“ Nachdenklich wendete er sich an Carina. „Ich weiß, du hingst sehr an deinem Großvater. Und er hing sehr an dir. Er hat mir von dir berichtet, und ein Kämpferherz wie deines bekommt man wohl nicht jeden Tag zu sehen.“
Carina war gerührt. Dass ihr Großvater so über sie gedacht hatte, war ihr nie wirklich bewusst gewesen. Mühsam unterdrückte sie die Tränen, die sie zu übermannen drohten. „Aber womit könnten wir euch denn helfen?“
„Es ist so – wir benötigen Informationen. Wir haben viele kleinere Auseinandersetzungen in letzter Zeit, doch wissen wir nicht, womit wir es im Ganzen zu tun haben. Eine Spur führt uns bis jetzt ins Erzgebirge. Eine schöne Gegend, im Osten Deutschlands, nahe der tschechischen Grenze. Es wäre wirklich großartig, wenn ihr – nun – wenn wir euch dahin schicken könnten, um heraus zu finden, was es mit den Koboldaufständen dort auf sich hat. Wir sind sicher, dass die etwas wissen. Und, nun ja – Kobolde sind in der Regel offener gegenüber Zauberern mit weniger magischen Fähigkeiten, als zu ausgebildeten Kämpfern. Und die merken sowas sofort. Sorry“, fügte er verschmilzt hinzu, „aber es ist tatsächlich so. Also. Seid ihr dabei?“
Carina schwieg. Sie musste erst einmal darüber nachdenken und setzte sich.
Alec fragte: „Geht es dir gut?“ Sie nickte und hielt sich den Kopf: „Jaja... es ist nur... es ist so viel auf einmal, weißt du...“ Sie atmete laut aus.
„Also... ich wäre dabei!“, sagte Alec laut. „Das ist doch sowieso besser als den ganzen Tag neue Zaubersprüche auszuprobieren und nur rumsitzen. Wann geht's los?“
Der Mann, der sich als Lupin vorgestellt hatte, schmunzelte. „Wenn deine kleine Freundin auch einverstanden ist dann werden wir euch erstmal ins Hauptquartier bringen.
Carina fuhr hoch und starrte den Mann feindselig aus ihren grünen Augen an: „Na schön, ich gehe mit. Aber nennen sie mich noch einmal klein und sie werden es bereuen!“
Hinter ihr hatte Alec große Mühe sein Lachen zu verkneifen, doch Lupin legte ihr eine Hand auch die Schulter und blickte zu ihr herab. Und dann sagte er mit so einer Ernsthaftigkeit in der Stimme, dass man es ihm fast abgekauft hätte: „Glaub mir dazu wird es nie mehr kommen.“
Remus Lupin schaute sich noch einmal um und lief ein paar Schritte in Richtung Tür. Mitten im Laufen apparierte er und Carina und Alec sahen sich unsicher an.
„Ähm und wo müssen wir jetzt hin...“, fragte Alec und runzelte die Stirn.
Carina schaute sich um und zuckte mit den Schultern.
Plötzlich tauchte Remus wieder auf: „Oh tut mir leid...“ Er hielt seine Hand hin und Alec und Carina nahmen sie. Plötzlich apparierten sie und tauchten vor einem Gebäude auf.
Dem Hauptquartier.

Das Hauptquartier des Ordens[]

„Das Hauptquartier steht mitten...“, Alec sah sich, die Stirn in Falten, um, „...mitten in einem Muggelort?“
Alec sah den Getränkemarkt und einen Kiosk an der nächsten Straßenecke, fuhr sich mit seinen Fingern durch die Haare, doch bevor er weiter reden konnte nahm sich Carina seiner unausgesprochenen Frage an.
„Ist das nicht riskant, wir sind grad plötzlich in einen Vorgarten aufgetaucht... Schöpfen die Muggel keinen Verdacht? Auch wenn ich vom Ministerium nicht sonderlich viel halte... Das Geheimhaltungsabkommen hat schon einen Sinn...“.
Remus fiel ihr ins Wort: „Keine Sorge, die haben nichts mitbekommen. Unser Hauptquartier ist mit dem Fidelius-Zauber geschützt, die Muggel sehen es nicht einmal jetzt, denn die Grenze des Zaubers beginnt hinter uns am Gartenzaun. Ich bin der Geheimniswahrer dieses Gebäude und habe euch in den Schutz hereingenommen. Ihr könnt nun kommen und gehen, ohne dass ich euch herführen muss. Zur Erklärung, wir sind hier in einem kleinen Dorf namens Senterfield, komische Leute sind die Bewohner gewohnt denn es ist ein beliebtes Touristenziel.“
Carina und Alec schauten sich um. Das Gebäude vor ihnen war groß, aber schlicht. Es hatte eine rote Fassade mit weißen Fensterläden, doch die Haustür zog die Blicke auf sich. Sie war dunkelbraun, aus antikem Holz und selbst aus zehn Metern Entfernung erkannte man die ausgefallene Holzstruktur. Aber in sie wurden Namen geritzt; viele Namen.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Alec und besah sich die Tür genauer. Keiner der Namen auf der Tür sagte ihm auf den ersten Blick etwas.
„Erkläre ich euch später. Jetzt gehen wir erst mal hinein“.
Er öffnete die Tür und ließ sie eintreten. Kaum, dass sie die Türschwelle übertreten hatten, spürten sie die eisige Kälte von Wasser auf sich herabprasseln. Unvorbereitet, wie sie war, bekam Carina einen Schwaps in beide Augen – es brannte furchtbar unangenehm. Instinktiv rieb sie sich die Augen.
„Weitergehen, weitergehen!“, sagte Lupin und drängte sie weiter in den Raum.
Zwar regnete es nicht mehr auf sie hinab, doch sie schaffte es immer noch nicht, die Augen zu öffnen.
„Der Diebesfall – hebt eventuelle Flüche und verborgene Identitäten auf. Haben wir uns aus Gringotts abgeschaut.“ Hinter ihr hörte sie, wie der Wasserfall verebbte, sobald alle den Eingangsbereich verlassen hatten.
„Na endlich, da seid ihr ja“, rief eine knurrende Stimme aus der Ecke links von Carina. „Wart wohl noch Kaffee trinken, oder was?“
Endlich schaffte es Carina, den Schmerz zu überwinden und die Augen zu öffnen. Erstaunt sah sie sich um.
„Nein, wir haben keinen Kaffee getrunken, MadEye ... Kurz gesagt: Dementoren sind doch ganz schön eigensinnig... Beim Transport gab es einen kleinen Zwischenfall, und die beiden hier wurden dabei etwas in Mitleidenschaft gezogen. Aber da wir Alec Und Carina ja eh in naher Zeit aufsuchen wollten, hatte dieser Vorfall doch noch was Gutes. Kingsley hat die Dementoren zu den Eisigen-Höhlen transportiert und ich hab die Beiden hierher gebracht. Vielleicht magst du ihnen den kompletten Plan schildern während ich mir schnell ‘nen Tee mache!?“ Er drehte sich um und ging in Richtung einer Tür auf der linken Seite, „ach wollt ihr vielleicht auch einen?“
„Gerne“, sagten beide im Chor und mussten unwillkürlich lachen.
„Ich verstehe nicht, was es da zu lachen gibt!“, knurrte der Mann namens MadEye. Seine äußere Erscheinung hatte etwas höchst Bedrohliches und Angst einflößendes. Er stand im Halbdunkel, sodass die Schatten kuriose Formen auf sein unglaublich vernarbtes Gesicht zeichneten. Nur das große magische Auge, was über seiner linken Augenhöhle steckte, leuchtete zu ihnen hinüber, und Carina hatte das unangenehme Gefühl, von oben bis unten geröntgt zu werden.
„Soso, Carina McMay und Alec Moher“, sagte er und ging hinüber zu einem Tisch, an dem vier Stühle standen. „Dann setzt euch mal hierher!“
Die beiden setzten sich auf die zwei Stühle, nahe der Tür, aber bevor sie noch irgendwas von sich geben konnten, redete der vernarbte Mann schon los. „Also, ich denke Remus hat das Gröbste schon gesagt. Ihr wärt die perfekte Wahl für eine Inkognito-Mission in die Geschehnisse der Koboldverbindungen. Wir müssen wissen was da zurzeit vorgeht. Kingsley hatte euch vorgeschlagen, da ihr nicht wie die üblichen Spione wirkt. Das soll keine Beleidigung sein, es ist halt nun mal so, dass Kobolde „weniger gefährlich-begabt“ wirkenden Personen gegenüber weniger Misstrauisch sind. Es ist wichtig das unsere Leute dort unentdeckt bleiben, in der Vergangenheit hat das leider nicht so geklappt, weshalb wir unser Vorgehen zu diesen Plan umgekrempelt haben. Es sollte ganz einfach sein, wir beschaffen euch in der richtigen Abteilung einen Job, diesen erledigt ihr ganz normal, aber nebenher sperrt ihr eure Elefantenohren auf.“
Alec war verwirrt: „Also wir hätten da sozusagen einen festen Job, und arbeiten dort. Das einzige, was wir machen sollen, ist, uns nach ungewöhnlichen Geschehnissen umzuhören?“.
„Nein nicht umhören! Es ist wichtig, dass ihr nur zuhört, weiß Gott was passiert, wenn ihr einen Kobold fragt, ob ihm irgendwas aufgefallen ist in letzter Zeit. Dann seid ihr schneller aufgedeckt, als wir die Zeit hätten euch da rein zu bringen. Diese Mission ist auf Diskretion gebaut, darauf das keiner euch auch nur verdächtigen wollen würde.“
MadEye kam beiden über den Tisch gebeugt, entgegen und zog seinen Zauberstab.  „Seit neuestem haben wir einen neuen Zauber, der für den Fall gedacht ist, dass jemand von uns in Schwierigkeiten steckt. Wie ich gesehen habe, habt ihr bereits die Namen auf der Tür bemerkt, durch die ihr gekommen seid. Ich werde euch nun eine kleine Markierung an eine beliebige Stelle eures Körpers geben. Anschließend werdet ihr eure Namen auf die Tür schreiben. Solltet ihr Hilfe benötigen, drückt ihr drei Sekunden lang auf die Markierung, und der Kern von uns wird informiert, dass jemand Probleme hat. Auf der Tür werden dann die Namen derjenigen leuchten, die betroffen sind. Und es werden genug Informationen über ihren Aufenthaltsort erscheinen, damit wir dorthin apparieren können. Also“, sagte er und ein merkwürdiges Lächeln zog über sein Gesicht, „mit wem soll ich anfangen?“
„Muss das wirklich sein? Ich meine.... Ist das ähnlich wie mit dem Proteus-Zauber, also wie das dunkle Mal?... Ich möchte mich nicht unbeliebt machen, aber wir sind Hals über Kopf hergekommen und hatten noch nicht Mal die Chance alles zu bedenken...“
Carina fiel Alec ins Wort. „Alec, warte kurz, denn auch ich möchte vorher einiges geklärt haben... Zumal was sind die Bedingungen, beziehungsweise die Verpflichtung, die mit diesem Mal einhergehen; und was bedeutet es für uns, wären wir offiziell einfach so Mitglied vom Orden des Phönix? Oder läuft es darauf hinaus, dass wir diesen, für euch einfachen, Auftrag erledigen und danach einfach zurückgehen und unser Leben weiter leben? Ich weiß das klingt komisch, aber unser Leben würde sich ja auch ändern, und vielleicht möchten wir danach nicht in unseren Alltag zurück...“
Alec schaute erst verwundert zu Carina. Er hatte nicht erwartet, dass sie so hinter dem allen stehen würde, obwohl sie noch gar nicht wussten, worauf das hinaus laufen würde. Dann folgte er ihrem Blick und sah ebenfalls Moody mit fragendem Ausdruck an.
„Sehr gut, ihr zwei.“ Lupin war in der Tür erschienen, ein Tablett mit vier Teetassen haltend. Wirklich, sehr gut. Nicht jeder schafft es, bei Moody’s Erscheinung den Mut aufzubringen, ihm zu widersprechen oder zumindest Gegenfragen zu stellen, wenn er seine Anordnungen kundtut. Die meisten lassen sich von ihm zu sehr einschüchtern.“ Er kam herüber und stellte die Tassen ab. Dachte mir, dass du vielleicht auch einen willst“, sagte er an Moody gewandt.
„Na ja, wenn’s sein muss. Aber im Ernstfall werden keine Fragen gestellt, ist das klar?“, knurrte er und wandte endlich sein Gesicht von Alec und Carina ab. Alec hatte trotzdem das unangenehme Gefühl, dass das magische Auge weiterhin in ihre Richtung blickte, durch den Kopf hindurch.

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„Also, zunächst zu euren Fragen“, sagte Lupin und setzte sich neben Moody, Alec und Carina gegenüber.
„Also ja, es wäre ein Proteus-Zauber im Spiel, aber regelrecht in umgekehrter Form. Nicht wir rufen euch, sondern ihr uns, wonach wir durch Patroni mit euch und der Verstärkung kommunizieren. Dazu kommt, dass es nur ein winziges Zeichen ist, was ihr euch selber aussuchen könnt.“
Lupin streckte seinen Arm aus, auf dem man eine winzige, tattooähnliche Form erkennen konnte. „Was ist das? Ein Hund oder...“
Alec wurde von Remus unterbrochen. „Es ist ein Wolf. Wir haben den Zauber so verändert, dass er zwar eine Verbindung erstellt, wir selbst aber unterschiedliche Zeichen tragen. Einerseits weil wir ja oft inkognito arbeiten, und da wäre es blöd, würde in irgendeiner Weise auffallen, dass wir alle ein gleiches Motiv tragen, und andererseits konnten wir uns nicht auf ein Motiv einigen.“
Nun schaltete sich auch MadEye ein: „Ich selbst hab ein Auge auf der Schulter. Um noch etwas zum Proteus-Zauber zu sagen. Er ist, wie Lupin schon sagt, verändert worden. Dazu kommt noch, dass wir es nicht benutzen um andere heranzurufen, sondern um zu zeigen, dass man Hilfe braucht. Es brennt nicht und verfärbt sich nicht, es bewirkt nur das eure Initialen, die dann auf die Tür gebrannt werden würden, aufleuchten. Es ist immer einer im oder vor dem Haus und diese Tür wurde dupliziert, deshalb ziert sie jedes Stockwerk. Unübersehbar.“
„Zu der Sache mit dem Orden. Ja, wenn ihr diesen Auftrag annehmen und antreten würdet, wärt ihr offiziell Mitglieder, was aber auch bedeutet, dass ihr außerhalb eurer geplanten Aufträge auch andere Aufgaben übernehmt. Egal was passiert, wir schreiben niemanden ab. Wer bleiben möchte und vertrauenswürdig ist, darf bleiben. Die Aufgaben, die ich ansprach, dabei handelt es um alltägliches, wie zum Beispiel auf dieses Haus aufzupassen und Verstärkung zu informieren, sollte etwas an dieser Tür passieren. Bei uns wäre es Pflicht, bei Kingsley zuvor einen Verteidigungskurs zu belegen, denn wenn ihr als Verstärkung eingeteilt seid und es passiert etwas, könnte es schon ziemlich heiß hergehen... naja. Ich möchte noch erwähnen, dass ihr euer Haus behalten könnt, doch während eines Auftrages werden euch Wohnungen in der Nähe zugewiesen. Außerdem ist dieses Haus ausdehnbar, wir können mehr Zimmer erschaffen. Diese wären dann eure, wo ihr immer unterkommen könnt. Jeder hat hier sein eigenes Zimmer. Bei eurer eigenen Wohnung, naja, da wäre es nicht schlecht, wenn wir ein paar Schutzzauber drauflegen würden.“
Nachdem Remus geendet hatte blickte er in die aufgerissenen Augen von Alec und Carina. Er wartete geduldig auf weitere Fragen.
„Okay, ich glaube, soweit hab ich das jetzt auch verstanden. Aber eines möchte ich noch wissen – was bei Merlins Bart hatte mein Grandpa damit zu tun?“, fragte Carina, die Hände in die Hüften gestemmt.
Remus spielte gedankenverloren an dem Henkel seiner Teetasse herum, bis er schließlich antwortete: „Deinem Grandpa hat der Orden viel zu verdanken. Caleb kannte den Gründer unserer Gemeinschaft, der übrigens kein anderer als Albus Dumbledore selbst ist, sehr gut. Er hat ihm vor vielen Jahren das Leben gerettet. Vielleicht wisst ihr, dass Dumbledore den Zauberer Gellert Grindelwald im Duell besiegt und den Merlin Orden dafür bekommen hat, bla bla bla. Aber wahrscheinlich weißt du nicht, dass dein Grandpa Caleb zufällig vorbeikam und Grindelwald genau dann entwaffnete, als er Dumbledore töten wollte. Danach ist er verschwunden und Dumbledore hat niemandem von ihm erzählt, ihn dann aber wieder zufällig getroffen und ihm angeboten beim Orden mitzumachen. Aber Caleb starb leider vor einem halben Jahr unerwartet, als er sich auf seine letzte geplante Mission vorbereitete. Die Mission die ihr nun zu Ende führen werdet.“
„Wow. Krass.“ Mehr fiel Carina nicht ein. Sie fühlte sich ausgelaugt und schläfrig. Mittlerweile dämmerte bereits der Morgen; von ihrer kurzzeitigen Ohnmacht abgesehen hatten sie kein einziges Mal geschlafen.
Remus schien ihnen die Müdigkeit anzusehen. „Also, wenn ihr erstmal keine weiteren Fragen habt, würde ich euch vorschlagen, euch ein paar Stunden auszuruhen. Im zweiten Stock rechts befinden sich zwei freie Zimmer. Ich werde euch begleiten. Später werden wir dann alles Weitere vornehmen und euch vielleicht sogar schon nach Johanngeorgenstadt bringen.“
Wortlos standen Alec und Carina auf, nickten MadEye zu und folgten Lupin aus dem Zimmer hinaus, die Treppe herauf bis in den zweiten Stock. Alec verabschiedete sich in das linke Zimmer, Carina in das Rechte. Sofort ließ sie sich auf das Bett fallen, doch obwohl es wunderbar weich und sie unglaublich müde war, lag sie noch lange wach, bis die Sonne aufging und sie endlich einschlief.

Der Proteus-Zauber[]

Am nächsten Morgen wachte Carina schon früh auf und stellte fest, dass sie am vorherigen Abend so müde gewesen war, dass sie in ihren Klamotten eingeschlafen war. Sie sah sich in dem kleinen Raum, in dem sie geschlafen hatte um und bemerkte, dass irgendjemand ihr frische Klamotten rausgelegt hatte; eine dunkelblaue Jeans, einen olivgrünen Strickpullover und einen schwarzen Umhang der so aussah, als wäre er schon etwas in die Jahre gekommen.
Als sie mit den perfekt passenden Klamotten die Treppe hinunter ging stellte sie fest, dass schon einige Leute am gedeckten Frühstückstisch saßen. Remus Lupin stellte sie alle nacheinander vor; da gab es Molly und Arthur Weasley, Kingsley Shacklebolt, Mundungus Fletcher und noch einige andere. Alec saß auch schon am Tisch und diskutierte mit einem jungen Mann mit feuerroten Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Er stellte sich als Bill vor, ein Sohn der Familie Weasley.
Das Essen war köstlich und Carina war schon beim dritten Omelette als MadEye das Wort an alle richtete: „Wie ihr ja sicherlich schon bemerkt habt, haben wir zwei neue Mitglieder, Alec und Carina, die das Koboldprojekt weiterführen werden. Außerdem gibt es gute Neuigkeiten; Sirius stellt uns das Haus seiner Familie zur Verfügung als Hauptquartier. Das ist ziemlich praktisch da die Besitzer dieses Hauses in einer Woche von ihrer Weltreise zurück kommen. Also, auf den Orden!“
Bei diesen Worten hob er seinen Flachmann wie alle anderen auch. Carina und Alec taten es ihnen gleich und sagten mit allen anderen dann auch die letzten Worte MadEyes nach.
„So, und nun zu euch“, knurrte Moody, als alle einen Schluck ihres Getränks genommen hatten und ihre Gespräche aufnahmen. „Habt ihr euch schon entschieden wie und wo ihr eure Markierung haben wollt?“
Alec hatte sich zwar Gedanken gemacht, sich jedoch nicht entscheiden können. „Tut es auch ein ganz normaler Punkt, wie ein Leberfleck? Bleibt auf jeden Fall unauffällig…“
„Das ist wahr. Vergiss nur nicht, welcher der Richtige ist. Such dir am besten eine Stelle aus, an der keine Verwechslungsgefahr besteht! Und du?“, fragte er an Carina gewandt.
„Einen Schmetterling! Auf dem rechten Oberarm! Grandpa hat die immer gesammelt, ich denke, ihm hätte es gefallen“, fügte sie an Alec gewandt hinzu.
„Ganz bestimmt hätte ihm das gefallen“, meinte Alec und brachte ihr sein aufmunterndstes Lächeln entgegen, dessen er imstande war – die Nervosität war ihm deutlich anzumerken. „Also, wo findet das ganze statt?“
„Nebenan“, sagte MadEye und erhob sich.
Carina und Alec standen ebenfalls auf, doch Alec stieß dabei gegen seinen Stuhl und er kippte um. Er wollte ihn gerade noch festhalten, doch dann fiel er krachend um und Alec stand eine Sekunde wie eingefroren da. Carina schaute auf den Stuhl, dann wieder auf Alec und musste sich das Lachen verkneifen. Jetzt hörten sie Moody aus dem Flur rufen: „Worauf wartet ihr, kommt schon.“ Alec wollte den Stuhl aufheben, doch Carina drängte ihn weiter und sie liefen in den Flur.

Fünf Minuten später trafen sie wieder am Tisch ein. Es war eine äußerst merkwürdige Erfahrung gewesen. Ein leicht unangenehmes Jucken hatte sich über Carinas Oberarm ausgebreitet, als Moody hochkonzentriert seinen Zauberstab angesetzt hatte. Es war fast wie bei einem Mückenstich, nur dass sich das Gefühl sehr stark auf eine Fläche begrenzte - auf genau die Fläche, die sich nun etwas vom Rest der Haut abhob und die Form eines Schmetterlings hatte.

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Kurz nachdem sie den Raum verlassen hatte (sie wurden einzeln abgefertigt), hatte sie ziemlich lange warten müssen, bis Alec fertig war. Sie hatte sich schon Sorgen gemacht, ob etwas darin nicht stimmte. Letztendlich lag der Grund der Verzögerung schlicht und einfach darin, dass es scheinbar auf seinem Körper keine geeignete Stelle gab, an der ein Leberfleck einzeln anzutreffen wäre, was nach Moodys Dafürhalten nicht sicher genug war, sollte er in der Hektik genau den richtigen treffen müssen.
So musste sich Alec kurzfristig umentscheiden, was ihm offensichtlich nicht allzu leicht viel. Was genau am Ende dabei herauskam, wollte er nicht herausrücken.
Früher oder später finde ich es schon heraus, dachte Carina, nachdem sie mit dem Erreichen des Tisches die Fragerei erstmal aufgeben musste.
Sie verließen das Versteck und Carina und Alec schauten in die Nacht hinein. Sie standen nebeneinander und ließen die Arme hängen. Plötzlich berührten sich ihre Finger und sie zuckten zurück. „Ähm...ich äh...“, stotterten die beiden und schauten sich nervös herum. Moody und Lupin kamen herbei mit dem Orden des Phönix im Rücken. Moody drückte Alec einen Besen in die Hand und Lupin gab Carina auch einen.
„Ihr könnt nach Hause fliegen wir haben noch etwas zu erledigen! Packt eure Sachen zusammen die ihr braucht...“ Lupin wollte sich gerade umdrehen doch er zögerte, „...behaltet alles was ihr erfahren habt für euch! Fliegt vorsichtig!“
Alle gingen wieder rein und Alec und Carina schauten auf den Besen und dann lächelten sie sich an.
Sie wussten, dass sie genau dasselbe dachten und stiegen auf die Besen. Sie flogen um die Wette, kreuz und quer, unter Brücken hindurch und über Wasser. Sie hatten sehr viel Spaß und kamen mitten in der Nacht bei Carina zu Hause an.
Sie waren so müde und erschöpft und mussten erstmal darüber schlafen, sie mussten alles verarbeiten was sie heute erfahren hatten. Carina war schon auf der Couch eingeschlafen und Alec nahm sie hoch. Er trug sie rüber zu ihrem Bett und deckte sie zu. Er wollte gerade gehen, doch Carinas Hand griff nach seiner. Er schaute zurück und sie zog ihn im Halbschlaf zu sich. Er lächelte sie an und legte sich zu ihr ins Bett. Sie hielt seine Hand und zusammen schliefen sie ein...

Hausbesuche[]

Am nächsten Morgen, strahlte die Sonne am Himmel und schien warm ins Haus hinein. Die angenehmen Sonnenstrahlen weckten die beiden sanft auf. Sie hielten noch immer ihre Hände und lagen mit den Gesichtern gegenüber. Langsam öffneten sie ihre Augen und als sie sich sahen, lächelten sie.
Carina ging ins Bad und machte sich fertig und Alec machte in der Küche Frühstück. Sie hatten fast vergessen was gestern alles geschehen war, doch als sie aufgestanden waren, war ihnen alles wieder eingefallen.
Carina und Alec saßen sich gegenüber an dem Esstisch und tranken ihren Kaffee.
Carina strich sich durch die Haare und stützte ihren Kopf auf ihre Hand: „Oh mein Kopf dröhnt so...“
Alec stimmte ihr zu: „Ja...ich hab auch ziemlich Kopfschmerzen...“
Carina hatte sich ein dunkelrotes T-Shirt und eine lange dunkelblaue Jeans angezogen. An ihrem rechten Oberarm konnte man den Schmetterling rausblitzen sehen. Die Schwellungen waren zurückgegangen und das jucken hatte schon lange aufgehört. Alec sah den Schmetterling und lächelte. Sie wusste genau, was er dachte, denn sie wollte unbedingt wissen, welches Motiv er gewählt hatte, doch er verriet es einfach nicht...
Plötzlich hörten sie ein Räuspern, direkt hinter ihnen. Erschrocken drehten sie sich um, doch niemand war da. Alec sah Carina mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Du hast auch etwas gehört, oder?“ Carina nickte und sah sich weiter um. „Hallo?“
Da war es wieder! Deutlich vernehmbar kam das Räuspern direkt von dem Schrank neben dem Kamin, gefolgt von einem einsetzenden Pochen. Fast zeitgleich zogen beide ihre Zauberstäbe und gingen darauf hinzu. „Alohomora!“, flüsterte Alec und langsam öffnete sich die Schranktür. „Was zum - ?“
Ein Gemälde starrte sie an. Es zeigte einen exzentrisch gekleideten Mann mit lilafarbenem Zylinder auf dem Kopf. Voller Aufregung klopfte er gegen den Bilderrahmen, bis er die beiden bemerkte.
„Hey, ihr! Es gab einen Zwischenfall. MadEye sagt, ihr sollt so schnell wie möglich zum Hauptquartier kommen, mit euren Sachen! Man hat bereits eine Verbindung im Flohnetzwerk hergestellt, also beeilt euch!“
„Hey Moment mal. Wer bist du überhaupt?“ Carina war verwirrt, hatte sie das Bild doch noch nie zuvor gesehen, schon gar nicht in diesem Schrank.
„Dädalus Diggel, und jetzt macht schon. Hoppla!“ Sein Zylinder war ihm vom Kopf gefallen. Er verschwand kurz aus dem Rahmen, um dann mit Hut wieder aufzutauchen. „Also, ihr werdet in fünf Minuten erwartet!“ Und damit verschwand er endgültig aus dem Rahmen.
Carina und Alec sahen sich an. Entsetzt stellten sie fest, dass sie nichts gepackt hatten. Sofort rannten sie herum, um wenigstens das Nötigste einzupacken.
Nach kurzer Zeit hatten sie ihre Sachen zusammengepackt und eilten zum Kamin.
„Hier!“ Carina streckte Alec die Schüssel mit Flohpulver hin.
„Danke.“
Er nahm die Schüssel und streckte sie ihr zu. „Aber Ladys First!“ Er zwinkerte Carina zu und sie drehte lächelnd mit den Augen.
Dädalus Diggel sprach aus dem Schrank heraus: „Jetzt macht schon ihr Turteltäubchen!“
Daraufhin griff Carina in die Schüssel und nahm eine Handvoll Flohpulver. Während sie in den Kamin trat und verschwand, stellte Alec die Schüssel auf den Tisch, griff selbst in die Schüssel und folgte ihr.
Grüne Flammen umzüngelten Alec, während er von einem Kamin zum anderen flog. Ruß und Asche wirbelten umher, in seine Augen. Das war ungewöhnlich, offenbar war das Flohnetzwerk gerade stark in Gebrauch. Alec schloss die Augen und wartete auf die Ankunft…
Als er wieder festen Boden unter den Füßen spürte, öffnete er behutsam die Augen. Ein Menge Ruß hatte sich an seinen Lidern verfangen, sodass er zunächst nur aufgeregte Stimmen und Fußgetrappel wahrnahm. Langsam entstand vor ihm ein Bild der Hektik, die aber dennoch organisiert schien. Links sah er Carina bei Lupin stehen, die ihn zu sich herüber winkten. Er wollte gerade losgehen, als er einen heftigen Schlag von hinten verspürte. Aus dem Kamin stolpernd und sich vor Schmerz auf die Zunge beißend drehte er sich um: ein kleiner, schäbiger, zerlumpter Mann mit rotbraunem Haar war direkt hinter ihm aufgetaucht. Laut fluchend wischte er sich den Ruß aus den Augen und ging dann drohend auf Alec zu:
„Hey, du, Bursche! Was sollte das eben?? Willst du mir alle Knochen brechen oder was?“
„Entschuldigen Sie bitte, das war keine Absicht, ich wollte gerade…“
„Hat man dir nicht beigebracht, den Kamin sofort nach der Ankunft zu verlassen?“ Der Mann schrie ihn jetzt fast an und Alec schlug eine gewaltige Alkoholfahne entgegen. Verlegen blickte er in dieses zornentbrannte Gesicht, welches erneut ansetzte zu sprechen.
„Lass gut sein, Mundungus!“ Lupin und Carina waren hinter Alec aufgetaucht.
„Aber Remus, hast du nicht gesehen, was dieser Bengel gemacht hat? Ich hätte mir alle Knochen brechen können, gefühlt hat es immerhin die Hälfte erwischt!“
„Ich habe gesehen, was passiert ist. Und ich sagte, lass gut sein, Mundungus“, sagte Lupin mit strenger Stimme und ernstem Blick.
Weiterhin laut fluchend dreht sich der Mann um und stieg schleunigst die Treppen hinauf. Lupin packte Alec und Carina etwas unsanft am Arm und zog sie nach links zur Tür. Sie kamen in einen kleinen Raum, in dem ein Tisch stand, jedoch ohne Stühle. Lupin ließ sie los und schloss die Tür, sodass der Lärm verebbte. Mit besorgtem Gesicht drehte er sich zu den beiden um.
„Was ist passiert?“, fragte Carina.
Lupin antwortete nicht sofort und Carina und Alec warfen sich betroffene Blicke zu.
„Warum wurden wir gerufen?“, fragte Alec eindringlich, „und warum sind alle so aus dem Häuschen?“
„Es gab einen Vorfall mit“, Lupin sah die beiden ernst an, „Todessern. Tut mir leid, ihr beiden, aber euer Auftrag bezüglich der Kobolde muss eventuell noch ein bisschen warten.“
„Was? Aber wieso mussten wir denn jetzt so schnell die Koffer packen? Und was haben die Todesser gemacht?“, fragte Carina.
„Es gibt offensichtlich einen Maulwurf bei uns. Oder man hat denjenigen gezwungen, Informationen preiszugeben. Jedenfalls sieht es so aus, als wüssten sie Bescheid, wer alles dem Orden nahe steht. Also haben sie seit heute morgen 'Hausbesuche' durchgeführt, indem sie vor den Häusern patrouilliert haben und angriffen, sobald die Leute das Gebiet des Schutzzaubers verlassen hatten.“ Lupin sah sehr besorgt aus. „Wir rufen gerade alle zusammen. Wir gehen nicht davon aus, dass die Todesser versuchen werden hier anzugreifen, wo so viele Auroren auf einmal sind. Deshalb werden wir alle den Tag und die Nacht hier verbringen. Die besten von uns sind noch unterwegs, um denjenigen zu helfen, die noch in Not sind.“
Bevor Carina oder Alec etwas sagen konnten, rief jemand nach Remus. Sofort ging er hinaus, und Alec sah voller Entsetzen, wie jemand blutüberströmt hinein getragen wurde. Im Hintergrund schien die Tür förmlich zu brennen - beinahe ein Viertel aller Namen leuchtete auf.

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Hoffentlich wird alles gut, dachte er bei sich.
Die beiden folgten Remus zurück in den Raum, in dem das Durcheinander am schlimmsten war: verletzte Ordensmitglieder, deren Wunden von anderen Mitgliedern hastig mit Heilsprüchen versorgt wurden, und Auroren, die umhereilten und schnelle Anweisungen erteilten oder beisammen standen und sich mit gesenkten Stimmen über die weiteren Vorgehensweisen austauschten.
„Können wir irgendetwas tun?“, fragte Carina ein wenig hilflos, als sie MadEye erblickte, dessen Auge unruhig herum sprang und der noch grimmiger und vernarbter als sonst wirkte. „Ihr könnt schauen, ob es noch mehr Verletzte gibt“, knurrte er. „Viel mehr kann man momentan nicht tun - obwohl ich diese Todesser gerne auf der Stelle -“
„Wie gesagt“, unterbrach ihn Kingsley mit seiner tiefen, ruhigen Stimme, „können wir für heute nichts anderes tun, als hier zu bleiben - aber was euch beide angeht“, er schaute Alec und Carina durchdringend an, „ihr solltet so bald wie möglich mehr Erfahrung im Kämpfen bekommen - denn die Lage ist schneller ernst geworden, als gedacht.“
„Nun - willkommen im Orden!“, sagte MadEye sarkastisch.
„Nein! Sie werden nicht kämpfen!“ Molly Weasley hatte gerade jemanden auf einer Liege gebettet, aus dessen Gesicht merkwürdige Furunkel gewachsen waren. Nun schrumpften sie langsam wieder in sich zusammen, was bei der Geschwindigkeit aber wohl noch eine gute Stunde dauern konnte. Nun stand Molly plötzlich direkt neben ihnen und stemmte die Hände in die Hüften. „Das ist nichts für sie. Sie sind für andere Aufgaben geschaffen als für Krieg.“
„Molly hat Recht Kingsley.“ Remus war wieder da. „Wir brauchen die beiden für die Inkognito-Mission mit den Kobolden.“
„So komisch es auch klingen mag, aber je weniger die beiden drauf haben, desto wertvoller sind sie für uns. Und jetzt komm Kingsley, sieht so aus, als steckt Sturgis Podmore noch immer in Schwierigkeiten“, meinte Moody, ging durch die Tür und disapparierte.
Kingsley zog noch kurz die Augenbrauen hoch und murmelte etwas von „solange sie selbst mal keine Schwierigkeiten bekommen“, bevor er Moody folgte und ebenfalls mit einem leisen Plopp verschwand.
Molly ergriff sofort die Möglichkeit: „Also ihr zwei, da wir nun so unerwartet viele Leute hier sind, wie wäre es, wenn ihr mit in die Küche kommt und mir beim Mittag helft?“
Carina und Alec folgten Molly in die Küche, wo sie sich gleich an die Arbeit machten und Getränke und Sandwiches vorbereiteten.
„Die sind hier ja ziemlich geteilter Meinung, wie wir uns am besten nützlich machen könnten“, murmelte Carina und stellte zwei Gläser schnell auf einem Tablett ab, da ihre Hände ein wenig zitterten. Alec nickte und seufzte.
„Ja - ich weiß nicht, ich fände es schon gut, mich besser verteidigen zu können...“
„Aber wenn wir dringender für diese Mission mit den Kobolden gebraucht werden?“, warf Carina ein. „Für meinen Großvater war diese Sache sehr wichtig. Ich möchte einfach...das tun, was er für richtig gehalten hätte!“
Alec nickte und legte ihr eine Hand auf den Arm. „Dein Großvater wäre bestimmt stolz auf dich!“ Carina lächelte schwach und stellte das vollgestellte Tablett auf dem Tisch ab, als Molly rief: „Okay, allerseits, wer braucht jetzt eine Stärkung?“

Der Rest des Tages verging wie im Flug. Carina und Alec halfen in der Küche zusammen mit einigen anderen Mitgliedern. Bill wurde als Sohn Mollys natürlich auch sofort in diverse Versorgungsarbeiten eingetaktet. Er nahm das aber sehr gelassen hin und erzählte ihnen von seiner Arbeit bei Gringotts. Carina hätte ihm wahrscheinlich stundenlang zuhören können, es wäre niemals langweilig geworden.
Zum Abendessen waren auch die meisten Verletzten wieder dabei und gut erholt. Alec erfuhr, dass es Mollys Mann Arthur gewesen war, aus dessen Gesicht diese merkwürdigen Furunkel gewachsen waren - das war im ersten Moment nicht zu erkennen gewesen. Mittlerweile waren sie auf die Größe von relativ großen, aber immerhin erträglichen Pickeln geschrumpft, die die Form eines großen $-Zeichens bildeten.
„Sollte wohl eine Anspielung auf mein nicht allzu üppiges Vermögen sein...“, meinte er lachend dazu.
Weniger gut erging es allerdings Sturgis Podmore. MadEye und Kingsley hatten ihn ebenfalls ins Hauptquartier gebracht, scheinbar ohne größere Verletzung, lediglich etwas verwirrt. Mit der Zeit begann er aber die Augen zu verdrehen, laut zu fluchen und alles und jeden zu beschimpfen. Als er dann plötzlich aus heiterem Himmel einen Explosionsfluch auf ein Bücherregal im Wohnzimmer schoss, brachten Sirius und Kingsley ihn ins St. Mungo, mit Verdacht auf einen sich ausbreitenden Fluchschaden.
Nach dem Essen nutzen Lupin und Moody die Gelegenheit der Abwesenheit Kingsleys, um Alec und Carina noch einmal zur Seite zu nehmen.
„Also, ihr beiden!“, knurrte MadEye und wieder hatten Carina und Alec das Gefühl, von seinem magischen Auge geröntgt zu werden.
„Die Tatsache, dass es einen Verräter in unseren Reihen gibt, bestätigt nur meinen Verdacht, dass irgendetwas im Busch ist - dass sich irgendetwas zusammenbraut - und wir wissen zwar noch nicht viel, aber es könnte sein, dass das mit den Unruhen bei den Kobolden in Verbindung steht. Es gilt auf jeden Fall, das herauszufinden. Und falls ihr keine Feiglinge seid -“
„MadEye will damit sagen“, unterbrach ihn Lupin, „dass ihr jetzt mit eigenen Augen gesehen habt, wozu Todesser im Stande sind, dass es für euch eventuell auch gefährlich werden könnte - und falls ihr jetzt noch einen Rückzieher machen wollt...“
„Nein“, sagte Alec entschlossen, und auch Carina verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. „Wir wussten schon vorher, dass es gefährlich werden könnte, und wir kennen das Risiko!“ - „Was nur noch mehr dafür spricht, dass wir es machen!“
„Oh, lasst das bloß nicht Molly hören“, sagte Lupin schmunzelnd, aber MadEye nickte.
„Gut so. Wenn eure Mission vorbei ist, könntet ihr über eine Karriere als Auroren nachdenken - die richtige Einstellung dafür habt ihr.“
„Also, ich schlage vor, die weiteren Details besprechen wir morgen früh - es ist schon spät - und es ist vielleicht besser, ihr schlaft heute Nacht hier.“ Er warf einen besorgten Blick nach draußen, als würde er erwarten, am Himmel ein paar Todesser entlang fliegen zu sehen, „es ist wahrscheinlich noch nicht ganz sicher für euch, alleine nach Hause zu fliegen.“
„Wieso nach Hause?“, meinte Alec. „Ich dachte, wir gehen dann jetzt bald mal los!“
„Na ja, habt ihr denn auch alles mitgenommen, was ihr braucht?“ fragte Remus.
„Na klar, das hat Dädalus Diggel doch gesagt.“
„Oh, ich hatte ihm eigentlich ausgerichtet, er solle euch sagen, ihr sollt nur das nötigste mitnehmen. Das hat er offenbar falsch verstanden... Na gut, aber umso besser. Dann könnt ihr natürlich auch hierbleiben, bis es losgeht. Natürlich nur wenn ihr wollt. Mal sehen, heute ist Donnerstag. Gestern haben wir noch einen Arbeitsvertrag für euch organisiert, der gilt ab kommendem Montag.“
Carina wurde plötzlich unbehaglich. „Ähm, was sollen wir eigentlich machen? Vielleicht haben wir ja gar keine Ahnung von dem, was wir machen sollen?“
„Ach, das ist ganz einfach“, knurrte Moody. „Eine Stelle beim magischen Zollamt, also direkt am Grenzübergang. Ihr habt eine Liste von Dingen, was ins Land darf und welche nicht, was verzollt werden muss und was nicht. Keine große Sache also. Aber strategisch ideal. Ihr müsst wissen, dass das Gebiet äußerst wertvolle Rohstoffe unter Tage besitzt. Nicht nur für die Muggel, die dort früher Silber oder Uran abgebaut haben, sondern auch für die Kobolde. Deshalb sind dort vergleichsweise viele von denen anzutreffen. Und jeder, der von Osten kommt oder dort hin will, muss an euch vorbei. Vielleicht könnt ihr so etwas herausfinden.“
„Wir können natürlich jetzt übers Wochenende versuchen, euch etwas anzulernen, damit ihr ein bisschen Übung bekommt“, sagte Lupin. „Und am Sonntag bringen wir euch hin, der Portschlüssel steht bereit.“ Er deutete auf ein altes vermodertes Kissen, was in der Ecke lag. „Also, wie ihr wollt. Morgen nochmal heim fliegen, oder ein wenig üben und in der Küche helfen - da werdet ihr wohl nicht herum kommen“, meinte er augenzwinkernd.
„Ich würde lieber morgen hier bleiben und für unsere Aufgabe üben - und wir helfen gerne in der Küche, stimmt's, Alec?“, sagte Carina grinsend. Alec nickte und deutete auf die beiden schon etwas abgeranzten Reisetaschen, die er und Carina im Flur abgestellt hatten.
„Ich glaube, wir brauchen echt nichts mehr von Zuhause.“
„Gut“, sagte Lupin, „dann wäre das geklärt.“
„Wie werden wir denn morgen üben?“, fragte Carina neugierig, „ich meine, werden wir erfahren, welche magischen Gegenstände und so weiter legal, und welche illegal sind, oder...?“
„Ja, so in etwa“, knurrte MadEye, „aber ich fürchte, das Weitere erfahrt ihr erst morgen - Molly wäre bereit mich umzubringen, wenn ihr nicht bald ins Bett kommt.“
„Wir sind doch keine Kinder mehr“, protestierte Alec augenrollend, aber in dem Moment kam Molly angerauscht, um sie aus dem inzwischen leeren Esszimmer zu scheuchen und ihnen ihr Zimmer zu zeigen.

Obwohl sich sowohl Carina als auch Alec sehr auf den kommenden Tag, und auf die beginnende Mission ein paar Tage später, freuten, waren beide schon ziemlich aufgeregt.
„Was meinst du?“, fragte Carina, als sie beide im Bett lagen. „Bekommen wir das alles hin?“
„Klar. Wie Mad Eye gesagt hat, ein Kinderspiel“, sagte Alec etwas zu optimistisch.
„Nein, jetzt mal ernsthaft“, sagte Carina und schaute Alec direkt in die Augen. „Glaubst du, wir kriegen das alles so hin mit dem Zolldienst?“
„Na ja gut... ein Kinderspiel wird es vielleicht nicht werden... aber ich denke, das mit der Arbeit bekommen wir schon irgendwie hin. Schwieriger wird vermutlich es sein, etwas herauszufinden, ohne nachzufragen.“
„Da hast du wohl Recht. Hoffentlich schaffe ich es, meine Klappe zu halten“, meinte Carina und lachte nervös auf.
„Freilich. Ich habe vollstes Vertrauen in dich“, sagte Alec ohne eine Spur von Ironie. Das beruhigte Carina sehr und sie verspürte eine große Welle der Dankbarkeit.
„Dankeschön“, flüsterte sie, drehte sich um und schlief auf der Stelle ein.
Das „Gute Nacht“ von Alec hörte sie schon nicht mehr.

Zwei alte Bekannte[]

Am nächsten Morgen wachten sowohl Carina als auch Alec früher auf, als sie es unter normalen Umständen getan hätten - die Neugierde und Aufregung auf den kommenden Tag machte beide so kribbelig, dass sie es keine Sekunde länger im Bett aushielten. Leise fischten sie neue Klamotten aus ihren mit Ausdehnungs-Zaubern-belegten Koffern und machten sich auf Zehenspitzen auf den Weg hinunter in die Küche. Auf dem Treppenabsatz stießen sie fast mit Kreacher zusammen.
„Guten Morgen“, flüsterte Carina und versuchte ein Lächeln.
Der Hauself musterte die beiden mit verengten Augen über seine Hakennase hinweg, erwiderte nichts und lief weiter, wobei er sein Murmeln von „Blutsverrätern“ und „Freunden von Werwölfen und Schlammblütern“ fortführte.
„Gut gelaunt wie immer“, bemerkte Alec sarkastisch.
„Ach, er hat meinen Großvater auch nie ausstehen können“, erwiderte Carina achselzuckend. „Jedenfalls hat er das erzählt.“
Die beiden erreichten die Küche, aus der schon gedämpfte Stimmen zu hören waren.
„Anscheinend sind wir doch nicht die Ersten“, murmelte Alec, „und ich dachte schon, wir könnten damit punkten, dass wir solche Frühaufsteher sind!“
„Ah, da seid ihr ja schon“, sagte Molly, als Alec die Tür öffnete. Sofort sprang sie vom Tisch auf, der voller Leute war und eilte ihnen entgegen. Ehe sie es sich versahen, wurden sie von ihr heraus gedrängt und die Tür schloss sich hinter ihr.
„Also ja... äh... ja genau, ich wollte euch noch schnell zeigen, wo das Bad ist, damit ihr euch noch ordentlich frisch machen könnt, bis wir zusammen frühstücken können.“ Sie setzte ein freundliches Lächeln auf, schaffte es jedoch nicht ganz zu verbergen, dass sie sich etwas ertappt fühlte.
Carina sah Alec mit hochgezogenen Augenbrauen an, sagte jedoch nichts. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sich etwas Wichtiges und Geheimes hinter dieser Tür abspielte, während sie von Molly wieder die Treppe hinaufgeschleift wurden.
„Hier ist das größere Badezimmer - wie ihr wahrscheinlich schon wisst - und da hinten ist noch ein Kleineres, aber wir haben schon lange den Verdacht, dass sich in den Duschvorhängen Doxys eingenistet haben, also...seid vorsichtig!“, sagte Molly lächelnd und deutete mal hier, mal da, auf eine Tür.
„Tja, wir sind auch gleich - ich meine, es dauert nicht mehr lange, bis es Frühstück gibt!“
Sie wirbelte wieder die Treppe hinunter, blieb in der Mitte noch einmal stehen, um den beiden einen Bleibt-wo-ihr-seid-Blick zuzuwerfen, und verschwand wieder in der Küche.
„Ich fühle mich so, als wäre ich wieder ein Kleinkind und dürfte an meinem Geburtstag noch nicht runter, weil meine Eltern noch den Raum schmücken“, stellte Alec schlecht gelaunt fest.
„Ja, nur, dass die da unten garantiert keine Luftschlangen aufhängen!“, seufzte Carina.
„Was meinst du, gibt es irgendeine Möglichkeit, wie wir lauschen können?“
Die beiden beugten sich über das Treppengeländer und spitzten die Ohren, aber es waren keine klaren Worte auszumachen; nur gedämpftes Gemurmel.
„Wir könnten runter gehen und lauschen“, schlug Carina halbherzig vor.
„Gute Idee, aber es könnte jederzeit jemand rauskommen und uns erwischen“, entgegnete Alec, „und ich will nicht wissen, wie weit man hier mit Bestrafungs-Maßnahmen geht...“
„Glaubst du, wir werden an Eisenketten im Keller aufgehängt?“, fragte Carina mit einem schwachen Grinsen.
„Naja, ist bei MadEye vielleicht gar nicht so undenkbar.“
Die beiden ließen sich seufzend mit dem Rücken gegen die Wand auf den Boden sinken. „Soll ich mal ein Gentleman sein und dir das Doxy-freie Badezimmer überlassen?“, fragte Alec scherzhaft.
„Ha - ha“, entgegnete Carina und starrte nachdenklich das Geländer an. „Ich kapier's einfach nicht - Ich dachte, wir wären jetzt im Orden aufgenommen - also jedenfalls fast - und dürften uns beteiligen...aber wir werden wieder ausgeschlossen! Ich glaube, die da unten unterschätzen uns.“
Alec nickte grimmig und zuckte mit den Schultern. „Sie werden aber ihre Gründe haben, oder? Manches geht vielleicht einfach nur alt eingesessene, erfahrene Ordensmitglieder wie MadEye, Kingsley, Lupin und so weiter etwas an.“ 
„Ja, vermutlich hast du Recht. Wobei... ach ich weiß nicht... Mich würde wirklich interessieren, welches Muster die Luftschlangen da unten haben.“ Sie sah ihn mit einem schiefen Lächeln an. „Weißt du was, ich wasche mir die Hände und gehe runter. Ich werde mich einfach dumm stellen. Du auch?“, fragte sie, während sie ins Bad rauschte, den Wasserhahn voll aufdrehte und fast augenblicklich wieder herauskam.
„Na wenn das so ist... werde ich es wohl nicht geschafft haben dich aufzuhalten.“, sagte Alec grinsend und tat es ihr gleich.

2 Minuten später fanden sie sich wieder vor der Tür wieder und versuchten angestrengt, der Unterhaltung zu folgen:
„...ich bin sicher, dass dies der richtige Weg ist. Wir kommen sonst nicht voran, die ganzen letzten Monate waren ein Schuss in den Ofen.“ Das war Lupin.
„Und ihr seid sicher, dass ihr die richtigen Kandidaten dafür habt?“, sagte eine kalte Stimme, ruhig und doch so bedrohlich.
„Ob wir sicher sind? Wo können wir noch sicher sein? Wir haben uns schließlich auch darauf verlassen, dass deine Kontakte uns weiterbringen würden, Schniefelus! Und was hat es uns gebracht? Nichts als vergeudete Zeit!“
„Oh, du meinst also, deine Zeit war effektiver genutzt als meine? Ja, ja, ich weiß, auch ein Hippogreif muss gefüttert werden. Das hat natürlich oberste Priorität!“
„Ich... du... ich hatte keine Wahl! Du schon!“
„Okay, das reicht jetzt, Jungs!“, kam die unverkennbar knurrende Stimme Moodys direkt hinter der Tür her. „Oder wollt ihr, dass auch die ungehorsamen Frühaufsteher über eure alten Streitereien Bescheid wissen?“

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Carina wurde starr vor Schreck. Sie schaffte es nicht, sich vom Fleck zu rühren, als die Tür aufgestoßen wurde. Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen wie erbärmlich sie und Alec aussehen mussten; noch halb gebückt, mit angestrengten Gesichtern, um die inzwischen verstummte Diskussion hinter der Tür zu belauschen - und es machte es nicht besser, in dieser Position erwischt zu werden, dass gefühlt der halbe Orden des Phönix an dem länglichen Tisch versammelt saß.
MadEye saß am äußersten Ende, seinen knorrigen Geh-Stock mit einer Hand fest im Griff, Carina und Alec grimmig musternd. Sein magisches Auto sprang zwischen den beiden hin und her und Carina hätte sich am liebsten mit der Hand vor den Kopf geschlagen - wie hatten sie vergessen können, dass er mit Leichtigkeit durch Türen sehen konnte?
Neben ihm saß Lupin, der die beiden anschaute und kaum merklich den Kopf schüttelte - wobei es um seine Mundwinkel verdächtig zuckte. Dann kam Tonks, eine junge Aurorin, die Carina und Alec schon flüchtig kennen gelernt hatten; sie zwinkerte den beiden zu und grinste. Carina entdeckte außerdem Kingsley, Sirius Black, den Mann, dessen Familie einst in dem Gebäude des Hauptquartiers gewohnt hatte - er hatte die Fäuste auf dem Tisch aufgestemmt und sich halb erhoben; er musterte Carina und Alec nun in milder Überraschung.
Ihm gegenüber saß ein Mann mit Hakennase und einem Vorhang von schwarzen Haaren vor dem Gesicht, der Mann, dessen schneidende Stimme Carina und Alec schon von außen gehört hatten - Severus Snape. Er hatte den gleichen Gesichtsausdruck, den er oft aufgesetzt hatte, als Carina und Alec ihn, etwas jünger, als Lehrer auf Hogwarts miterlebt hatten; ein spöttisches Lippenkräuseln und ein abwertender Blick aus seinen schwarzen Augen.
„Carina McMay und Alec Moher, tatsächlich“, sagte er leise. „Nun, es stellt sich heraus, dass sie beide im Anweisungen-Befolgen ungefähr so viel Begabung besitzen wie im Zaubertränke-Herstellen.“
„Wir... ich... nun...“, stotterte Carina.
„Wir waren ja im Bad, wie Molly gesagt hat“, unterbrach Alec sie und versuchte so viel Unschuld wie möglich in seine Stimme zu legen. „Aber wir hatten das meiste schon erledigt, deshalb waren wir so schnell fertig.“
„Und ihr seid nicht auf die Idee gekommen, dass Molly euch hatte von hier fernhalten wollen?“, fragte Sirius, schaute dabei aber ziemlich belustigt drein.
„Nein“, sagte Carina, die nun endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte.
„Soso, ihr nehmt also neuerdings alles wörtlich, ohne darüber nachzudenken?“, sagte Snape, die Lippen weiterhin spöttisch gekräuselt. „Das steht euch aber gar nicht gut bei der Aufgabe, die ihr zu erfüllen habt. Ein wenig Grips sollte da schon vorhanden sein. Aber wie auch immer“, setzte er sofort hinzu, bevor Sirius etwas einwerfen konnte, „wir waren sowieso gerade fertig. Ich werde jetzt gehen und Dumbledore berichten, danach habe ich schließlich noch genug zu tun.“
Mit diesen Worten stand er auf, rauschte ohne sich nochmals umzudrehen an Alec und Carina vorbei durch die Tür und nach draußen, wo er mit einem leisen Plopp disapparierte.
Carina und Alec wandten sich wieder den anderen Ordensmitgliedern zu; Alec mit verschränkten Armen und dem gleichen, unschuldigen und ahnungslosen Gesichtsausdruck, Carina dagegen konnte es nicht verhindern, ein wenig schuldbewusst auszusehen. Wenigstens ist Snape jetzt weg, dachte sie erleichtert. Alec hatte etwas ungewöhnlich Herausforderndes an sich, auch, wenn er gar nicht besonders viel tat, das Snape schon damals oft dazu veranlasst hatte, Gryffindor etliche Punkte abzuziehen und Alec Nachsitzen zu erteilen. Auch, wenn sich die Zeiten geändert hatten und sie sich außerhalb Hogwarts befanden, war es besser, möglichst viel Abstand zwischen Severus Snape und Alec zu bringen, dachte Carina.
„Also, ich weiß nicht, wie ihr es seht“, sagte Sirius und brach damit die unangenehme Stille, „aber ich finde, bei zwei Kandidaten für diese Mission ist eine gute Portion Neugierde gar nicht so verkehrt!“
Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und sich ein wenig zurück gelehnt - das Disapparieren des Zaubertranklehrers hatte anscheinend auch ihm die Anspannung genommen. Carina grinste verlegen und warf MadEye einen nervösen Blick zu, aber er knurrte nur etwas, das klang wie „Lasst euch von den Kobolden aber bloß nicht beim Belauschen erwischen - könnte das Letzte sein, das ihr tut!“
Molly klatschte währenddessen in die Hände und sagte schnell: „Na, wo jetzt sowieso alle wach sind, können wir ja endlich frühstücken! Carina Liebes, und Alec, helft ihr beim Decken?“
„Das ist ja nochmal gut gegangen“, murmelte Carina, als sie Teller und Besteck auf den Tisch schweben ließen.
„Ja“, raunte Alec, „das muss man MadEye hoch anrechnen: Keine Bestrafungen im Keller, keine Fesseln, keine Ketten...“
Carina lachte und fand, dass das spärlich belichtete, schmutzige Zimmer, an dessen Wänden schon der Putz abbröckelte, gleich ein wenig freundlicher wirkte.

Reise nach Deutschland[]

Der Rest des Tages und auch der folgende Tag verliefen verhältnismäßig ruhig. Neben den üblichen anfallenden Haushaltsarbeiten bekamen Alec und Carina erstmals Einblick in die Liste des Zolls, die Hestia Jones, eine schwarzhaarige Hexe mit rosa Wangen, in Deutschland organisiert hatte.
Zollpflichtig waren unter anderem magische Uhren, koboldgefertigte Waffen und Schmuck, diverse Rohstoffe und Besen; letzteres galt vor allem als protektionistische Maßnahme, um die inländischen Besenhersteller zu schützen, die gegen die osteuropäischen Modelle in großer Konkurrenz standen.
Auf der verbotenen Liste waren vor allem schwarzmagische Gegenstände und Feuerwerk zu finden („Die Tschechen und Polen übertreiben es gerne mal, was die Zerstörungskraft ihrer Böller angeht“, meinte Jones dazu). Ganz besonders aufpassen sollten sie mit Muggelgegenständen, die eventuell verzaubert sein könnten; in letzter Zeit gab es viele Verstöße gegen das Einfuhrverbot fliegender Teppiche - nachdem man in Großbritannien es soweit geschafft hatte, das Problem in den Griff zu bekommen, versuchte der berüchtigte Händler Ali Bashir nun über die osteuropäischen Staaten ins westeuropäische Festland vorzudringen, um dort seine Teppiche zu verkaufen.
Deshalb übten Carina und Alec auch einige Formeln und Sprüche, um derartige Gegenstände zu untersuchen. Dies erwies sich teilweise als überaus schwierig, sodass sie am Abend total geschafft waren und todmüde ins Bett fielen. Dennoch hatten beide das Gefühl, nicht richtig vorbereitet zu sein.
„Macht euch deshalb keine Sorgen. So schlecht war es doch gar nicht. Und die wissen auch, dass ihr das noch nie so gemacht habt; die werden euch das auch alles noch mal beibringen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“
Diese Worte Lupins waren zwar aufmunternd, jedoch änderten sie nichts an der steigenden Nervosität, die Carina und Alec nach und nach verspürten.
Und so stiegen sie am Sonntagmorgen das letzte mal aus dem Bett im Hauptquartier, um das Frühstück vorzubereiten.
„Ähm - Cari?“, sagte Alec, halb-besorgt, halb-belustigt.
Carina schien ihn nicht gehört zu haben; sie war dabei, Kaffee einzugießen und hatte dabei den Blick in die Ferne gerichtet, alle Zaubersprüche, die sie in den letzten Tagen gelernt hatte, und alle Fakten über Kobolde, die Bill ihnen von seiner Arbeit erzählt hatte, vor sich hin murmelnd.
„Carina?“, sagte er, diesmal nachdrücklicher. „Du flutest den Küchentisch mit Kaffee.“
„Aparecium - Flagrate - Geminio...was? Oh, verdammt!“
Sie stellte die Kaffeekanne mit einem Schwung ihres Zauberstabes ab und murmelte „Ratzeputz!“, woraufhin die Pfütze verschwand.
„Tut mir leid“, seufzte sie, „ich bin nur so...“
„Ja, ich auch“, sagte er lächelnd, „aber vielleicht solltest du dich schonmal hinsetzen, bevor noch Unfälle passieren - oder du das Haus in die Luft jagst - ich glaube, das würde Sirius dir übelnehmen!“
Ein paar Minuten später saßen sie am Frühstückstisch, wobei MadEye den Beiden letzte Anweisungen erteilte und Lupin hin und wieder Mutmachungen einwarf. Während Alec so viel aß wie sonst, bekam Carina nur aus Höflichkeit ein paar Bissen runter - und viel zu schnell war der Tisch abgeräumt und die beiden standen angezogen und mit geschulterten Reisetaschen im Flur.
„Fertig, ihr beiden?“, fragte Remus und lächelte sie beiden an.
„Ja - ja ich hab alles.“
„Ich glaub ich auch.“
„Sehr gut. Accio Kissen.“ Das alte vermoderte Kissen, was die ganze Zeit ihres Aufenthaltes in der Ecke des Wohnzimmers gelegen hatte, flog Lupin in die Hand. „Also, wir haben es jetzt kurz vor 11. Punkt um 11 sollte uns der Portschlüssel sicher in den Wald bringen, 2 km von Johanngeorgenstadt entfernt, um keine Aufmerksamkeit bei den Muggeln zu erregen. Der Rest des Weges wird zu Fuß zurück gelegt. Habt ihr noch Fragen?“
Sie schüttelten beide den Kopf, zu nervös, um klar zu denken.
„Ok, dann heißt es jetzt warten. Wir haben noch exakt“ - er sah auf seine Uhr - „142 Sekunden. Vielleicht sollten wir schon mal die Hände an das Kissen legen“
Mit Lupin und Alec zusammen legte Carina die Hand auf das alte, zerfressene und vermoderte Kissen. Es fühlte sich ganz ölig an und nach einiger Zeit hatte sie das unangenehme Gefühl, als würden kleine unsichtbare Krabbeltierchen an ihrem Arm empor klettern.
Dieses Gefühl wurde jedoch plötzlich verschwindend gering, als sie ohne Vorwarnung einen komischen Zug hinter ihrem Nabel verspürte und sie in einen Wirbel aus Farben gezogen worden, sich immer schneller drehten, immer höher, immer weiter...
Sie schlugen hart auf waldigem Boden auf. Der Geruch von feuchten Nadelbäumen und Pilzen stieg in ihre Nase. Carina hob den Kopf. Sie befanden sich mitten im Wald, nichts als Bäume waren zu sehen, mit Ausnahme des alten Kissens, was neben ihnen lag.
Sie rappelte sich schnell auf und klopfte sich ein paar Blätter und Erde von der Hose. Bei genauerem Umschauen stellte sie fest, dass Alec ein paar Meter weiter genauso unsanft gelandet war - Lupin dagegen, der schon mehr Übung im Reisen durch Portschlüssel hatte, war auf den Beinen gelandet.
Es war ein dichter Wald, mit vielen hohen und offenbar sehr alten Bäumen, und die aufgehende Sonne schaffte es nur mit Mühe, durch das dichte Blätterdach mit ein paar Sonnenstrahlen den schmalen, erdigen Waldweg zu besprenkeln.
„Auf die Minute genau“, sagte Lupin zufrieden.
„Der Portschlüssel wird mich nachher wieder zurück bringen - ich begleite euch noch bis zur Einweisung, aber dann seid ihr auf euch allein gestellt. Also, los geht's!“
Es war ein angenehmer Gang durch die frische Morgenluft; sie begegneten nur einem Muggel, der offenbar morgens joggen war, und den Reisetaschen, die Carina und Alec trugen, leicht verwunderte Blicke zuwarf.

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Schließlich hatten sie den Wald hinter sich gelassen und erreichten etwas, das zunächst wie eine große, leere Wiese mit einem rostigen Tor erschien - aber als Carina die Augen leicht zusammen kniff, konnte sie das schwache Flimmern erkennen, das diesen Ort umgab.
„Schutzzauber?“, fragte Carina leise.
Lupin nickte und holte tief Luft.
„Okay, denkt an alles, was wir euch gesagt haben - besonders daran, dass ihr vor Kobolden niemals etwas über Koboldgefertigten Schmuck oder Waffen erwähnen solltet, die in der Familie weitergereicht werden; ihr wisst, dass sie da sehr eigen sind. Und ihr wisst, wie ihr uns bei Problemen benachrichtigen könnt.“
Carina erinnerte sich an das kleine Tattoo an ihrem Arm und sie und Alec nickten.
„Sehr gut.“ Er hob seine Stimme und sprach, so wie es schien, zu dem verrosteten Tor. „Remus John Lupin. Ich bringe Carina McMay und Alec Moher, deren Arbeitsvertrag hier ab Morgen gilt.“
Es dauerte einen Moment, bis sich überhaupt etwas tat. Dann ertönte ein Klicken, wie von einem Schloss.
„Ah, es ist geöffnet“, sagte Lupin.
Verwundert sah sich Alec das Tor an, doch er konnte weder einen Griff, noch ein Schloss oder ähnliches erkennen. Doch Lupin ging zielstrebig auf das Tor zu - und plötzlich war er auf der anderen Seite. Alec glaubte sich verschaut zu haben, doch dem verwunderten Blick Carinas zu schließen, hatte sie wohl auch gesehen, dass Lupin einfach durch das Gestänge des Tores hindurch gegangen war.
„Na kommt schon!“, rief er ihnen über die Schulter hinweg zu.
Vorsichtig gingen sie auf die Stangen zu, die ganz und gar nicht durchlässig aussahen. Vorsichtig streckte Carina die Hand aus - doch das Metall bekam sie nicht zu greifen. Stattdessen schien es sich mit ihrer Berührung in eine Art Gas zu verwandeln, an Ort und Stelle bleibend zwar, doch durchlässig. Entschlossen ging sie komplett hindurch. Auf der anderen Seite angekommen, drehte sie sich nochmals um, nahm einen Stock, der auf dem Boden lag und warf ihn gegen das Tor, wo er abprallte - das Material war wieder fest geworden.
„Genial“, meinte Alec neben ihr voller Begeisterung.
„Okay, ich weiß, das ist sehr interessant und alles, aber wir müssten jetzt wirklich mal weiter“, meinte Lupin lachend, der wieder zurück gekommen war. „Also los!“
Sie drehten sich um und steuerten plötzlich auf eine kleine Waldhütte zu, die ihnen von der anderen Seite des Tores gar nicht aufgefallen war.
Carina und Alec wussten beide nicht wirklich, was sie erwarten sollten, als Lupin die Tür der Hütte mit einem leisen Knarren öffnete. Es offenbarte sich aber schnell, dass das kleine Haus mit einem gewaltigen Ausdehnungszauber belegt worden war: Sie standen in einer Art Eingangshalle, die mit Stützpfeilern aus Marmor ausgestattet war - und als sie einen Blick zurück zur Tür warfen, war diese doppelschwingig und sehr viel höher. Alles in allem, dachte Carina, sieht es auf den ersten Blick ein bisschen wie eine deutlich kleinere und nicht ganz so pompöse Version von Gringotts aus.
Aus einer der beiden Türen, die von der Empfangshalle abzweigten, kamen ein junger uniformierter Zauberer und ein Kobold, tief im Gespräch versunken - wobei der Mann ein wenig gebückt laufen musste, um ihn zu verstehen. Der Kobold warf ihnen einen kurzen misstrauischen Blick zu, bevor er weiter auf den Zauberer einredete - Carina hörte Wortfetzen wie „Dracheneier ins Land schmuggeln und so tun, als seien es Biefbeschwerer - ha, als könnte man uns so leicht täuschen! So ein Aufsehen, und das so früh am Tag - eine Schande!“
Währenddessen liefen aus der anderen Tür in Richtung Ausgang eine Hexe, begleitet von zwei uniformierten Arbeitern. „'Aben sie eine Ahnung wie lange dieserrr Schmuck in dem Besitz meinerrr Familie ist?! Das können sie doch nischt einfach 'iehr be'alten!“, schimpfte die Hexe in einem auffälligen französischen Akzent.
„Wir haben Ihnen schon erklärt, Miss Fontaine“, sagte der ältere Zauber leicht ungeduldig, „dass ihr Schmuck zunächst auf mögliche schwarzmagische Einwirkungen untersucht werden muss, bevor Sie ihre Reise fortsetzen können -“
„Das isch nischt lache! 'Schwarzmagische Eigenschaften' - das iiest ein Skandal!“
Während sie weiter zeterte, grinsten Alec und Carina sich an - es schien bei ihrer neuen Anstellung eine ganze Menge los zu sein. Sie hatten das Pult erreicht, das in der Mitte der Halle stand und an dem ein älterer Kobold saß, der einen Klumpen Gold polierte und keinerlei Notiz am Geschehen um ihn herum nahm. Bevor Lupin jedoch auf sich aufmerksam machen konnte, sagte er, ohne aufzusehen, in einer überraschend hohen Stimme: „Mr. Lupin. Miss McMay, Mr. Moher - wir haben Sie erwartet.“
„Ähm... ja danke sehr“, sagte Lupin, der offenbar von der Stimmlage genauso überrascht war wie Carina und Alec. „Ich nehme an, Sie wissen, wo wir uns einfinden müssen?“
„Allerdings.“ Endlich sah er von seiner Arbeit auf. „Nehmen Sie den Fahrstuhl auf der rechten Seite. Fahren Sie in den zweiten Stock. Dort befinden sich die Büros der Abteilungsleiter. Wenden Sie sich nach links, die zweite Tür rechts ist das Büro von Mr. Schneider, zuständig für den Grenzübergang Oberwiesenthal - Boží Dar.“
„Ah, ok. Vielen Dank“
„Keine Ursache“, sagte der Kobold, der sich schon wieder seinem Goldklumpen zugewendet hatte.
„Wie, wir arbeiten gar nicht hier in Johanngeorgenstadt?“, fragte Carina verwundert, als sie in den Fahrstuhl stiegen.
„Ja, sieht ganz so aus, als hätten sie umgeplant. Ich bin mir nicht sicher, aber wenn ich mich nicht irre, ist Oberwiesenthal auch nur 30 km von hier entfernt“, sagte Lupin. „Wird schon alles werden.“
Die Fahrstuhltüren öffneten sich und sie gingen den linken Gang entlang, bis sie an der Tür mit der Aufschrift 'Schneider' ankamen. Lupin klopfte an.
„Herein!“, sagte eine Stimme dahinter.
Lupin öffnete die Tür und Carina und Alec konnten nicht anders, als sich als erstes mit offenen Mündern umzuschauen. Dafür, dass das Büro nicht besonders groß war, war es vollgestellt mit den verrücktesten Dingen. In einer Ecke stapelten sich Reisetaschen und Koffer, die mit Stempeln versehen waren, auf denen „Warnung - konfisziert aufgrund gefährlicher Inhalte“ zu lesen war, in den Regalen, die die Wände säumten, standen Kästen mit Aufschriften wie „Untersuchung erforderlich“, „Unauthorisierte magische Waffen“ oder „Weiterleitung zur Abteilung der Kobolde“ - und es gab jede Menge kuriose Gegenstände, die sich auf dem Boden stapelten oder in Glaskästen aufbewahrt wurden, alle mit der Beschriftung „Beschlagnahmt“. Carina entdeckte unter anderem ein Grammophon, aus dessen Trichter, laut dem daran geklebten Zettel, bei Benutzung Pistolenkugeln schossen, einen kleinen Käfig mit spinnenartigen Tieren und eine Kuckucksuhr, die angeblich mit dunklen Flüchen die Zeit ansagte. Carina konnte kaum glauben, was für Sachen die Hexen und Zauberer, die hier kontrolliert wurden, auf Reisen alles bei sich trugen...
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit an den Mann, der hinter dem Schreibtisch saß und offenbar der Abteilungsleiter, Mr. Schneider, war. Er war ungefähr in Lupins Alter, hatte aber schon etwas schütteres Haar und trug eine eckige Brille. Er nickte den Dreien zu.
„Miss McMay und Mr. Moher, nicht wahr? Ich habe eben mit der Verwaltung gesprochen - Sie werden an einem nicht weit entfernten, etwas größeren Zollamt stationiert. Dort werden Sie voraussichtlich noch etwas mehr mit Kobolden zu tun haben, falls das kein Problem ist.“
„Nein, durchaus nicht“, sagte Lupin schnell und Carina und Alec warfen sich verstohlene Blicke zu.
„Ich nehme an, die Beiden werden sofort dorthin gebracht?“
Mr. Schneider nickte. „Der Portschlüssel steht bereit - wenn sie mir bitte folgen würden!“
Sie folgten Mr. Schneider hinaus auf den Gang und wieder zurück zu den Fahrstühlen. Von dort fuhren sie in den dritten Stock.
„Also, organisatorisch ist es folgendermaßen aufgebaut: Dies ist die zentrale Zollstelle im Umkreis von ca. 100 km. Die nächsten Zentralen liegen in Cham in Bayern und in Zittau im Dreiländereck.“ Sie stiegen aus und wandten sich nach rechts, wo eine einzelne Tür war. Schneider öffnete sie. „Alle Grenzübergänge in unserem Bereich haben eine Anbindung ans Flohnetzwerk. Hier drin befinden sich einige Kamine, die zum einen als Arbeitsweg der Mitarbeiter dienen und zum anderen einen schnellen Transport der Reisenden ermöglichen, die in kritischen Fällen von den Grenzübergängen herkommen müssen. Doch leider“, fügte er hinzu, als er die Tür wieder schloss, „sind einige Gegenstände zu sperrig, als dass sie in einen Kamin passen würden. Deshalb haben wir als zweiten Weg einen Portschlüssel eingerichtet, da er alles transportiert, was man berührt.“ Er wandte sich um und steuerte, am Fahrstuhl vorbei, auf eine zweite Tür zu, die direkt gegenüber war. „Wie Sie gesehen haben, können die mitgeführten Gegenstände zum Teil sehr groß sein; deshalb hat der Portschlüssel einen eigenen Raum.“
Schneider öffnete die Tür - und obwohl Alec einige Beispiele angewandter Ausdehnungszauber kannte, war er überrascht von der schieren Größe dieses Raumes, in dem man locker Quidditch spielen könnte. Erleuchtet wurde er scheinbar vom Tageslicht - eine riesige Kuppel spannte sich über ihn, auf der man den Himmel sehen konnte. 'Sie könnte aber auch verzaubert sein, wie in Hogwarts', dachte Alec und erinnerte sich daran, wie er das erste mal durch die Große Halle schritt, zusammen mit den anderen Erstklässlern, voller Aufregung auf das, was kommen möge... Doch er befand sich im hier und jetzt, und so schüttelte er den Gedanken wieder ab, fokussiert auf diesen sonderbaren Raum. In der Mitte befand sich eine große Kugel aus Stahl, auf der eine merkwürdige Schrift schimmerte, wie er im Näherkommen erkannte.
„Jede Außenstelle wird zweimal am Tag angelaufen. Das nächste Ziel und die Zeit werden hierauf angezeigt. In der Regel wechselt der Portschlüssel alle 15 Minuten den Ort, damit genügend Zeit bleibt, die Sachen aus dem Weg zu schaffen, bevor der nächste kommt. Daher bleibt der Raum verschlossen, wenn der Portschlüssel nicht da ist - wir wollen schließlich nicht, dass man von einem mitgeführten Holzschuppen erschlagen wird.“ Schneider stieß ein müdes Lachen aus. „Also, mit euren Reisetaschen würde ich euch diesen Weg empfehlen. Wir haben noch knapp 9 Minuten Zeit, bis es los geht. Genügend Zeit also, euch von eurem Begleiter zu verabschieden.“
„Verabschieden? Jetzt schon?“, murmelte Carina und konnte es nicht vermeiden, etwas besorgt zu klingen. Auch Alec schluckte.
„Aber klar!“, sagte Lupin zuversichtlich.
„Ich muss gleich zurück zu unserem Portschlüssel und ihr seid auf euch allein gestellt, aber ich bin mir absolut sicher, dass ihr es auch ohne mich schafft!“
Er legte je eine Hand auf die Schulter von Alec und Carina - Mr. Schneider hatte sich taktvoll ein paar Schritte entfernt und schaute auf seine Armbanduhr.
„Erinnert euch einfach an alles, was wir euch die letzten paar Tage beigebracht haben – und an das, was ich euch vorhin gesagt habe; seid vorsichtig wegen der Kobolde – und euch kann so gut wie nichts passieren!“
Lupin lächelte ermutigend und Carina und Alec nickten.
„Ihr kennt eure Mission“, fuhr er mit gesenkter Stimme fort, „haltet die Augen für verdächtige Hinweise offen – mögliche Ursachen für die kürzlichen Koboldaufstände – und falls es tatsächlich irgendetwas mit Todessern zu tun haben sollte –“, er warf einen Blick nach hinten, aber Mr. Schneider war außer Hörweite, „benachrichtigt auf der Stelle den Orden. Wenn es ernst wird, gebt die Sache an uns weiter – keine Alleingänge, dafür seid ihr nicht ausgebildet genug im Nahkampf. Habt ihr mich verstanden?“
Er musterte sie streng. Wieder nickten die Beiden stumm - obwohl Carina hätte schwören können, Alec die Augen verdrehen gesehen zu haben, als Lupin ihn nicht angeschaut hatte. Sie kannte ihren Freund inzwischen schon ziemlich lange und wusste, dass er dazu neigte, unvernünftig zu sein und alle Warnungen in den Wind zu schießen. Er fing ihren Blick auf und grinste unschuldig.
„Sehr gut“, sagte Lupin wieder in normaler Lautstärke und schüttelte beiden zum Abschied die Hände. „Ich – und der ganze Orden – haben vollstes Vertrauen in euch.“
Er lächelte und wandte sich Mr. Schneider zu, um noch letzte Angelegenheiten zu klären.
„Und? Fühlen Sie sich dazu gerüstet, mit der Spionage-Arbeit zu beginnen, Miss McMay?“, fragte Alec scherzhaft. Carina zuckte mit den Schultern. „Ich könnte wahrscheinlich nicht 'gerüsteter' sein, Mr. Moher, aber ich würde mich besser fühlen, wenn Sie nicht schon wieder dazu tendieren würden, den Helden zu spielen – bevor die Mission überhaupt begonnen hat.“
„Also bitte! So etwas würde ich nie tun!“, versicherte er grinsend.
Mr. Schneider räusperte sich. „Es ist gleich soweit – ich schlage vor, dass Sie sich schon einmal in Position stellen.“
Carina und Alec schulterten ihre Taschen und berührten mit beiden Händen den Portschlüssel. „Ich bin sicher, wir werden noch miteinander zu tun haben“, sagte Mr. Schneider höflich und nickte ihnen zu.
„Das glaube ich auch“, sagte Lupin lächelnd.
„Viel Erfolg ihr Beiden.“
Mr. Schneider begann, einen Countdown runter zu zählen – und schließlich spürten Carina und Alec das vertraute Ziehen am ganzen Körper, Lupins und Schneiders Gesichter und der Raum verschwanden und die Beiden wurden in Dunkelheit gesogen, bevor sie wieder auf solidem Boden aufkamen.

Interessante Gespräche[]

Carina öffnete die Augen - und dachte im ersten Moment, etwas sei schief gegangen.
„Was zum -?“ Sie sah neben sich. Alec war neben ihr gelandet, doch der Raum schien nach wie vor derselbe zu sein, aus dem sie gestartet waren. Nur Lupin und Schneider waren verschwunden. „Sind wir hier richtig?“
„Ich glaube schon. Lass uns einfach mal raus gehen.“
Während sie diesen riesigen Raum verließen, bemerkte Carina doch einige Unterschiede zu dem Raum, aus dem sie gestartet waren. So waren die Wände nicht in Gelb, sondern in einem hellen Blau gehalten; außerdem hatten sie eine karierte Musterung, während der Raum in Johanngeorgenstadt gar keine Musterung aufwies.
„Ich glaube einfach, die haben überall einen solchen riesigen Raum, damit man auch ja alles weg- und herbringen kann“, meinte Alec.
„Ja, das kann gut sein. Kreativ ausgetobt haben sie sich hier nicht gerade...“
Sie erreichten die Tür und kühle Bergluft schlug ihnen entgegen. Diesmal waren sie direkt aus dem Stamm eines riesigen Baumes gekommen, in den man eine Tür eingelassen hatte. Carina schloss die Augen und atmete tief ein. Als sie sie wieder öffnete, bemerkte sie erst die junge Frau, die an einem Häuschen gegenüber stand und sie zu sich herüber winkte. Carina warf Alec einen Blick zu, dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg zu ihr.
„Hallo“, begann Carina, als sie die Frau erreicht hatten, „wir sind -“
„Carina McMay und Alec Moher?“, unterbrach die Frau sie lächelnd. „Ja, Mr. Schneider hat mir Bescheid gesagt. Mein Name ist Theodora Chappel - die meisten Arbeiter hier nennen mich aber Theo. Ich bin die stellvertretende Leiterin dieses Zollamts nach meinem Vater, welcher aber momentan“, sie brach ab und für einen Moment streifte Besorgnis ihr Gesicht, „nun ja – er ist – schon für längere Zeit – geschäftlich unterwegs. Jedenfalls“, sie lächelte wieder, „habe ich hier erstmal das Sagen!“
Sie schüttelte beiden die Hände und Carina musterte sie interessiert. Sie war nicht sehr viel älter als sie und Alec selbst, trug einen fleckigen Overall und Stiefel und hatte sich ein braunes Stirnband umgebunden, um ihre wirren orange-roten Locken im Zaum zu halten. Sie hatte im Gegensatz zu dieser wetterfesten Kleidung ein sehr hübsches Gesicht mit großen blauen Augen, die sie ebenso interessiert musterten und bei ihren Reisetaschen hängen blieben.
„Oh – ich wette, ihr musstet die schon den ganzen Tag mit euch rumschleppen! Ich weiß ja selbst, dass es in dieser Branche immer ziemlich rund geht – erst werdet ihr dort hin geschickt, jetzt hier hin – das macht einen verrückt, oder?“
Sie zückte ihren Zauberstab und die Taschen wurden magisch in die Luft gehoben – ein weiterer Schwung und sie begannen, nebeneinander davon zu schweben, wie zwei eckige, beinlose Tiere. Sie schwebten auf eine weitere Hütte zu, die, wie Carina und Alec jetzt bemerkten, gute zehn Meter entfernt von der stand, aus der Theodora gekommen war.
„Die Unterkünfte für die Zollarbeiter“, erklärte sie, und als Carina und Alec etwas perplex aussahen, lachte sie. „Wie habt ihr euch das vorgestellt, bei einer Festanstellung hier? Oder wolltet ihr jede Nacht zelten ¬– oder in die nächste Muggelstadt apparieren? Bei dem Zollamt, von dem ihr gerade gekommen seid, ist das alles in einem Gebäude untergebracht - hier wurde es mit all den Kobolden allerdings etwas voll. Ihr habt zwei verschiedene Stockwerke“, fügte sie hinzu und deutete auf die Unterkunfts-Hütte. „Die Menschen wohnen oben, die Kobolde unterirdisch – sie mögen es sowieso lieber kalt und dunkel und so kommt niemand dem anderen wirklich in die Quere.“ Sie seufzte. „Es war schwer genug, die Kobolde überhaupt davon zu überzeugen, dauerhaft mit Hexen und Zauberer unter einem Dach zu leben - aber okay. Hier“, sie deutete auf den Baum mit der Tür, „ist der 'Portschlüssel - Landeplatz' und hier“, sie deutete auf die Haupt-Hütte, „ist die Verwaltung und die Inspektion der Reisenden. Soll ich euch alles zeigen? Euer Vertrag fängt, soweit ich weiß, erst morgen an, und ich werde momentan nicht gebraucht – also können wir uns die Zeit nehmen, oder?“
Carina und Alec nickten dankbar lächelnd und folgten der Leiterin in Richtung erste Hütte. Die folgende Stunde verbrachten sie damit, ihren neuen Arbeitsplatz genau zu erkunden. Zunächst brachten sie ihr Gepäck in ihre Unterkunft im zweiten Stock. Dort trafen sie nur auf eine ältere Hexe, die sie etwas misstrauisch ansah und wieder in ihrem Zimmer verschwand.
„Die meisten Leute fahren übers Wochenende zu ihren Familien, der Rest ist meist hier, weil er Wochenenddienst hat“, erklärte ihnen Theo.
Anschließend gingen sie direkt zur Haupthütte am Grenzübergang, wo zum Sonntag allerdings nur 2 Leute arbeiteten, die gerade auch nichts zu tun hatten.
„Hallo Steve, hallo Brian“, begrüßte sie die beiden Männer.
„Hey Theo“, sagte der erste. Er war ebenfalls nicht viel älter als Alec und Carina und musterte die beiden interessiert.
„Das sind Carina McMay und Alec Moher, die beiden Neuen. Sie fangen morgen hier an.“
„Ah, alles klar. Ich bin Brian Glinsky.“ Er schüttelte beiden die Hände. „Und der Griesgram hier drüben ist Steve Müller.“
„Na komm, so schlimm bin ich nun auch wieder nicht!“, sagte Steve, dessen zerfurchtes Gesicht tatsächlich etwas griesgrämig aussah, dessen Augen aber warm zu lächeln schienen. Auch er schüttelte den beiden die Hände. „Ich bin halt manchmal einfach nicht sonderlich gesprächig, wenn mir nicht danach ist.“
„Er ist nicht nur nicht besonders gesprächig, er hüllt sich geradezu in Schweigen“, flüsterte Brian Carina leise zu. „Wenn wir nichts zu tun haben, weil niemand kommt, befürchte ich manchmal, er sei gestorben, wie er so mit offenen Augen ins Leere starrt.“
„Also ihr vier“, sagte Theo, „da Carina und Alec noch nie beim Zoll gearbeitet haben, würde ich vorschlagen, dass die beiden für 1-2 Stunden hier bleiben und sich anschauen, wie es hier so läuft. Natürlich nur, wenn ihr das wollt und Brian und Steve einverstanden sind.“
„Klar“, sagte Brian sofort und zwinkerte Carina zu. Auch alle anderen stimmten zu, auch wenn Alec unerklärlicherweise etwas mürrisch dreinblickte.
„Okay, dann viel Spaß euch allen. Wir sehen uns dann halb sieben zum Abendessen“, sagte Theo und verschwand.
Es stellte sich heraus, dass Brian und Steve sehr angenehme Kollegen waren, und, dass die Arbeit beim Zoll nicht so kompliziert wie befürchtet, sondern ziemlich interessant sein würde. Obwohl Sonntag war, kamen immer wieder Leute an, entweder per Portschlüssel, durch Apparition oder durch die Kamine.
Brian und Steve hatten die Aufgabe, nach dem Anliegen des Reisenden zu fragen – was sich als spannend offenbarte, da es nicht nur Hexen, Zauberer und Kobolde aus den verschiedensten Ländern waren, sondern auch Zwerge, ein paar Hauselfen, die zu ihrem Meister in Deutschland gesandt worden waren oder eine Nachricht übermitteln sollten, Veela, Sabberhexen, Vampire (zumindest vermutete Carina dies bei ein paar dunkelhaarigen, blassen Männern aus Transsylvanien) – und es tauchte sogar ein Oger auf, der allerdings gefesselt und in Begleitung mehrerer Zauberer war. Das Gepäck der Reisenden musste sorgfältig durchsucht werden, und wenn alles legal war, durften sie ihre Reise fortführen. Meist dauerte eine Durchsuchung nur fünf Minuten, da Brian und Steve mit wirkungsvollen Zaubersprüchen – und, falls sie ganz sicher sein wollten, seltsamen Suchdetektoren – sofort herausfinden konnten, was sich in den Reisetaschen befand und ob es gestattet war.
„Eine Zeit lang tauchte so viel gestohlener oder verfluchter Schmuck auf“, erzählte Brian, und Carina und Alec dachten an die Französin beim letzten Zollamt, „dass wir Niffler auf die Koffer der Leute loslassen mussten. Ihr wisst sicher, was Niffler sind?“
„Oh, das sind diese niedlichen schwarzen Tierwesen, die total vernarrt in Schmuck sind, oder?“, fragte Carina. „Aber...“
„Aber sie können ein ganz schönes Chaos anrichten, ja“, lachte Brian und beugte sich ein Stück vor. „Sie haben es irgendwie geschafft, auszubüchsen, und haben beinahe jedem Kobold den kompletten glitzernden Besitz geklaut. Die Kobolde haben natürlich zuerst an eine Verschwörung der Zauberer gedacht – ihr könnt euch vorstellen, dass seitdem keine Niffler mehr eingesetzt werden. Eigentlich schade – ich konnte die kleinen Kerlchen immer ganz gut in der Hinsicht verstehen, hübsche Sachen zu finden!“
Er grinste Carina an. Sie kicherte – verstummte aber unter Alecs Blick augenblicklich.
Schließlich wurde es Abend, Brian und Steve wurden von ihrer Schicht abgelöst und zu viert machten sie sich auf den Weg zum Speisesaal, welcher sich im Untergeschoss der Haupt-Hütte befand.
Dort angekommen, erwartete sie der angenehme Duft von Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Ei.
„Martha lässt wieder ihren Kochkünsten freien Lauf“, sagte Theo, die sie bereits erwartete. „Ohne sie wären wir wahrscheinlich verloren, was gutes Essen angeht. Ich bin so froh, dass mein Vater sie kannte und eingestellt hat, nachdem Karl fast die ganze Küche abgebrannt hatte.“
„Das stimmt nicht!“, sagte ein großer, schlaksiger Mann, der soeben die Treppe herunterkam. „Es war alles unter Kontrolle, nach Rezept sollte eine 'feurige Gewürzmischung' zugegeben werden. Der Topf war einfach ein wenig übergelaufen, ich wollte es gerade wegmachen, als du reinkamst!“
„Erstens war mit einer 'feurigen Gewürzmischung' wohl kaum brennende Marinade gemeint, und zweitens ist ein 'überlaufender Topf' wohl eine ziemlich starke Untertreibung für eine derartige Explosion! Erinnerst du dich noch daran, Steve?“
„Wie könnte ich das je vergessen! Der Kleiderschrank ist bei der Wucht auf mein Bett gefallen. Ich hatte riesen Glück, dass ich gerade am Fenster stand, weil ich Pfeife rauchte.“
„Ihr seid so gemein, alle beide. Eine gemeine Verschwörung, diesen einen Ausrutscher so groß aufzuziehen, wo ich und meine Kochkünste euch doch sonst immer mit Gerichten aus aller Welt beglückt haben!“
Von Steve und Theo war gleichzeitig ein glucksen zu hören, dann mussten beide grinsen und schließlich konnten sie nicht mehr an sich halten und begannen laut zu lachen. Karl zog zunächst ein beleidigtes Gesicht, stimmte dann aber mit ein, ebenso wie Brian, Alec und Carina. Es war eine sehr ausgelassene Stimmung, als sie sich gemeinsam an den Tisch setzten.
Wenige Sekunden später kamen die Teller mit den Bratkartoffeln aus der Küche angeflogen, um mit einem leichten Scheppern auf den jeweiligen Plätzen zu landen. Als alle versorgt waren (die Kobolde, wovon die meisten an einem separaten Tisch zusammensaßen, hatten aufgrund ihrer Vorliebe rohes Fleisch, Wurzeln und verschiedene Pilze bekommen) gesellte sich die Köchin, Martha, zu ihnen an den Tisch. Sie war eine untersetzte, schon etwas ältere, freundlich aussehende Frau mit dunklen Haaren, die schon mit grauen Strähnen durchzogen waren. Sie setzte sich zwischen Brian und Theo, bevor ihr Blick an Carina und Alec hängen blieb.
„Na sieh mal einer an! Da ist ja der Neuzugang! Ihr seid... Alec und Carina, richtig?“, fragte sie strahlend. Die beiden nickten.
„Sehr schön! Endlich mal ein paar neue junge Gesichter in diesem Kaff!“, gluckste sie.
„Die beiden fangen morgen offiziell hier an“, erklärte Theo, „heute haben sie nur Steve und Brian ein Bisschen über die Schulter geguckt.“
„Ich verstehe“, sagte Martha schmunzelnd. „Und, gefällt es euch bisher hier?“
„Also – das Essen ist auf jeden Fall besser als erwartet“, sagte Alec mit vollem Mund.
„Ja, und vor allem ist es –“, Carina suchte nach den richtigen Worten, „naja, die Leute sind... lockerer... als ich gedacht hätte!“
„Oh, wahrscheinlich fällt dir das nur auf, weil ihr schon Bekanntschaft mit Mr. Schneider gemacht habt!“, warf Theo ein, und der ganze Tisch lachte.
Nach einer Weile setzten sich zwei Kobolde, Egrig und Agnas, zu ihnen an den Tisch, um mit ein paar Arbeitern geschäftliche Dinge zu besprechen, und die Gespräche verteilten sich nach und nach. Trotzdem merkte Carina, wie Martha irgendwann eine Hand auf Theos Schulter legte und mit gesenkter Stimme fragte: „Immer noch keine Nachricht von deinem Vater, Theodora?“

2018 01 29 08 55 32

Sie schluckte einen Bissen herunter und schüttelte traurig den Kopf. „Gar nichts. Er – er war ja schon damals ein – ein großer Widersacher von Du-Weißt-Schon-Wem... vielleicht –“
Aber Martha schüttelte entschieden den Kopf. „Anthony Chappel ist einer der dickköpfigsten und zähesten Männer, die ich kenne. Ich bin mir sicher, dass es ihm gut geht – die Todesser würden sich schön die Zähne an ihm ausbeißen!“
Theodora lächelte schwach.
„Jedenfalls“, Martha senkte ihre Stimme noch ein bisschen, sodass Carina Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen, „glaubst du immer noch, dass es jemanden unter uns gibt, der ihn verraten haben könnte? Unter den Menschen oder den Kobolden?“
Theo seufzte und zuckte hilflos mit den Schultern. „Es wäre gut möglich – aber ich weiß momentan gar nicht mehr, was ich glauben soll und was nicht.“
Carina schaute Alec an, aber er war im Gespräch mit Steve und einem der Kobolde und schien nichts davon mitbekommen zu haben. Nachdenklich stocherte sie in den Resten ihres Essens herum – das, was sie gerade gehört hatte, war interessant.
Sehr interessant.
Schließlich hatten alle aufgegessen und auf einen Wink von Marthas Zauberstab hin flogen die leeren Teller fein säuberlich wieder in Richtung Küche. Langsam leerte sich der große Speisesaal und Carina und Alec folgten Theo und den anderen nach draußen.
„Also ihr beiden“, sagte Theo und wandte sich an Carina und Alec. Die Sorgenfalten, die noch vor wenigen Minuten auf ihrer Stirn standen, waren verschwunden; stattdessen wirkte sie wieder unbekümmert und fröhlich. „Wenn ihr keine Fragen mehr habt, würde ich euch nun allein lassen. Macht von mir aus, was ihr wollt, aber denkt daran, dass der Tag morgen sehr früh beginnt.“
„Äh, ja“, sagte Alec, „eine Frage hätte ich da noch. Wann müssen wir wo sein?“
Theo schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Oh Mann, klar, hab ich komplett vergessen.“ Sie kramte etwas in ihrer Tasche und zog zwei Blatt Papier heraus. „Hier, das ist der Dienstplan für die Woche“, sagte sie und drückte ihnen die Zettel in die Hand. „Ihr seid für die Woche in der Frühschicht eingeplant. Von 6 bis 2. Ich werde euch zur Seite stehen und dann irgendwann alleine lassen, wenn ihr so weit seid.“ Sie lächelte müde. „Deshalb werde ich jetzt auch ins Bett gehen, ich bin ein wenig fertig. Also, wir treffen uns dann morgen früh kurz vor 6 am Grenzübergang. Bis dann.“ Damit dreht sie sich um und verschwand in Richtung Unterkunft.
Alec dreht sich um und grinste Carina an. „Und Cari, was machen wir jetzt noch?“
Carina konnte nicht anders, als zurück zu grinsen. „Du hast gehört, was sie gesagt hat. Wir müssen morgen früh raus – und wir haben eine Mission, weißt du noch? Ach ja, ich wollte dir noch was erzählen...“
Während die beiden nebeneinander durch die kühle Abendluft zur zweiten Hütte liefen, berichtete Carina von dem Gespräch, dass sie beim Abendessen mit angehört hatte.
Alec runzelte die Stirn.
„Also – Martha glaubt, dass es hier jemanden gibt, der einen Draht zu den Todessern hat und Theos Dad verraten hat? Krass. Meinst du, das könnte wichtig sein? Für unsere“, er machte eine dramatische Geste, „Mission?“
Carina zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht... aber ich habe das Gefühl, dass wir hier nicht umsonst sind. Dass hier wirklich etwas Merkwürdiges abgeht, das wir aufdecken müssen.“
„Amen“, sagte Alec scherzhaft. „Meine Güte, du hörst dich an wie eine richtige Spionin!“
Carina verdrehte die Augen und grinste.
Einen Moment gingen sie einfach nur schweigend nebeneinander her. Der fest getrampelte Weg über die Wiese zu der Unterkunft war von kleinen schwebenden Laternen beleuchtet, während die Abendsonne hinter den Bergen am Verschwinden war und einen matten Rosaton am inzwischen dunkelblauen Himmel hinterließ.
„Es ist eigentlich gar nicht so übel hier“, sagte Carina versonnen.
„Ja, außer der Tatsache, dass vermutlich irgendwelche Verschwörungen am Laufen sind und wir jeden Morgen schon um 6 arbeiten müssen“, sagte Alec grinsend.
„Okay, abgesehen davon“, räumte Carina ein. „Aber insgesamt scheinen die Leute echt nett zu sein...“
„Hm hm, teilweise etwas ZU nett“, murmelte Alec mit einem Blick auf Brian, der einige Meter weiter vorne neben Steve ebenfalls in Richtung Unterkunfts-Hütte schlenderte.
Carina verdrehte die Augen. „Oh bitte, so eifersüchtig kenne ich dich ja gar nicht, Alec!“
„Ich? Eifersüchtig? Auf so einen Sonnyboy?“
Sie warf ihm einen strengen Blick zu.
„Okay, tut mir leid. Er ist nett. Alle hier sind sehr nett. Es ist fast wie Ferien!“
Sie erreichten die Hütte und Carina stieß kopfschüttelnd aber mit einem leichten Lächeln die Tür auf.
Sie waren zwar schon drin gewesen, hatten aber noch keine Zeit gehabt, sich alles genauer anzugucken – Theo hatte ihnen ja hauptsächlich die Haupthütte gezeigt. Tatsächlich ähnelten sich die beiden Gebäude ziemlich – die gleichen Säulen, die Decke, die so viel höher war, als von außen erwartet – aber die Unterkunftshütte war etwas kleiner, und statt einer Eingangshalle gab es eine Art Aufenthaltsraum mit ein paar Stühlen, Sesseln und Tischen, eine Tür, von der sie wussten, dass von ihr eine Treppe zu den unterirdischen Schlafsälen der Kobolde führte – und eine gewaltige Wendeltreppe aus Marmor, die sich zu den Schlafsälen der Menschen nach oben wandte.
Sie wollten gerade die Treppe hinauf gehen, als sie oben eine Tür aufreißen hörten und laute Stimmen die Wendeltreppe herunter hallten.
„Psst, bleib hier!“, sagte Carina zu Alec, der schon die ersten Stufen erklommen hatte. Er sah sie mit fragendem Blick an, stieg sie jedoch wieder herunter und so lauschten sie der Auseinandersetzung im ersten Stock.
„Diebe, Plünderer, ihr denkt wohl ihr wärt was Besseres, he?“
„Hey, beruhige dich. Das ist ein Familienerbstück. Du musst das verwechseln...“
„Das ist doch Brian!“, flüsterte Alec Carina zu, doch sie legte nur die Finger an die Lippen und lauschte weiter der Unterhaltung.
„Ha, ich und verwechseln? Du weißt wohl nicht, mit wem du es zu tun hast!“
„Natürlich weiß ich das, aber ich sage dir, du machst einen Fehler. Die sind von niemandem geklaut, die hat mein Urgroßvater schon getragen.“
„Das ich nicht lache! Bis vor 6 Monaten waren die noch in Isgandol, und dort wurden sie gestohlen! Und jetzt willst du mir weismachen, ich würde nicht die Ohrringe von Urg dem Unsauberen erkennen?“
„Hör zu, ich glaube dir ja, dass die sich ähneln, aber diese Ohrringe haben nichts – nichts – mit denen von eurem komischen Urk zu tun!“
„Unserem komischen Urk? UNSEREM KOMISCHEN URK? DU BELEIDIGST UNSEREN HELDEN?“
Es schien ganz offensichtlich zu einer Rauferei zu kommen, zwischen den Worten „Gib sie her“ und „Nein“ hörten Carina und Alec voller Entsetzen das Schlagen von Fäusten und von Körpern gegen die Wand. Endlich fiel oben eine Tür ins Schloss – offenbar hatte es Brian geschafft, den rasenden Kobold abzuwimmeln und sofort die Zimmertür zugeschlagen. Der Kobold hämmerte nun voller Wut dagegen.
„Es ist noch nicht zu ende! Ich werde unseren Anführer davon berichten! Ich hoffe, dass du die Wahrheit gesagt hast, denn sonst bedeutet es ganz sicher das Ende der Waffenruhe.“
Mit schweren Schritten kam er die Wendeltreppe herunter. Alec reagierte sofort und zog Carina mit sich, weg von der Treppe, hin zu den Sesseln des Aufenthaltsraumes. Dort taten sie so, als würden sie sich fieberhaft unterhalten, beobachteten dabei aber den Kobold, dessen Lippe blutig war und dessen Nase etwas schief saß. Dieser ging jedoch direkt ins Untergeschoss weiter und nahm keinerlei Notiz von ihnen. Als er verschwunden war, sah Alec Carina mit großen Augen an.
„Ich weiß“, sagte sie nur.
Es war der Kobold namens Egrig gewesen.
Ein paar Sekunden verharrten sie stumm auf ihren Sesseln und warteten darauf, dass entweder der wütende Egrig oder Brian wiederkommen würden – aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen kamen ein paar Arbeiter zur Tür hinein, wovon ein paar sofort die Treppe hinauf stapften und die anderen sich auf die weiteren Sessel fallen ließen.
Carina und Alec tauschten Blicke aus. Vor den anderen sollten sie besser nicht besprechen, was sie gerade mit angehört hatten. Sie standen auf und machten sich auf den Weg zu ihrem Zimmer – wobei Carina beim oberen Treppenabsatz zögernd stehen blieb. Der Streit war vom Fuß der Treppe gut hörbar gewesen, also musste es eine dieser Türen sein, hinter der Brian wohnte. Die Holztüren waren mit goldenen Nummern versehen – sie und Alec selbst hatten das Zimmer 31 - und hier begann es mit der 1. Irgendwo hier hatte Brian wenige Minuten zuvor dem Kobold die Tür vor der Nase zugeknallt.
Alec zog Carina mit sich; sie mussten den langen Flur entlang, einmal abbiegen und dort war es eine der letzten Türen, bevor es noch eine Biegung gab.
„Bei Merlins Bart“, stieß Alec hervor, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
„Was zur Hölle war das?“
„Jetzt wissen wir, dass wir einen Kobold niemals sauer machen dürfen“, murmelte Carina und ließ sich auf ihr Bett sinken.
„Allerdings“, sagte Alec kopfschüttelnd, „Mann, ist der ausgetickt. Aber vielleicht zurecht... ich meine... anscheinend ist der gute Brian doch nicht so ein unschuldiger netter Kerl wie gedacht, richtig?“
Carina biss sich auf die Unterlippe.
„Ich weiß ja nicht – vielleicht hat sich Egrig wirklich geirrt. Brian hat geschworen, dass der Schmuck ein altes Familienerbstück ist!“
„Klar, das würde ich auch sagen, wenn ein fuchsteufelswilder Kobold mich attackieren würde!“, schnaubte Alec. „Außerdem irren sich Kobolde was Schmuck und Waffen angeht so gut wie nie – das weißt du. Wenn jemand erkennen kann, woher diese Ohrringe kommen, dann wohl ein verdammter Kobold!“
Er setzte sich ebenfalls auf das Bett und Carina verzog das Gesicht, weil sie wusste, dass er Recht hatte. Trotzdem konnte sie sich kaum vorstellen, dass der nette Typ, mit dem sie den Nachmittag verbracht hatten, ein Dieb sein sollte.
„Was diesen Urg angeht“, Alec schüttelte belustigt den Kopf, „hast du eine Ahnung, wer das ist? 'Urg der Unsaubere' – klingt nicht besonders gefährlich, oder?“
Carina starrte ihn ungläubig an. „Du weißt nicht, wer Urg der Unsaubere ist?! Was hast du in 'Geschichte der Zauberei' eigentlich gemacht?“
Alec zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls nicht zugehört. Komm schon, du kennst Professor Binns!“
Carina seufzte. „Urg der Unsaubere ist so eine Art... Anführer der Kobolde. Sie verehren ihn richtig. Er hat damals bei den Koboldaufständen immer an vorderster Front gekämpft und soll einen ziemlichen Hass auf die Zauberer haben – trotz der Waffenruhe.  Er ist schon uralt, aber immer noch mächtig, einflussreich und verdammt blutrünstig. Glaub mir, Egrig hat nicht übertrieben, wenn bekannt wird, dass ein Zauberer dem Helden der Kobolde einen seiner Reichtümer geklaut hat... wird es ein Ende der Waffenruhe geben.“
Alec sah sie mit großen Augen an. „Ach du... Ich bin froh, dass ich nicht in Brians Haut stecke!“
Carina schüttelte den Kopf. „Es ist nicht nur Brian, der in Schwierigkeiten ist. Wir alle stehen auf der roten Liste der Kobolde, wenn das bekannt wird.“ Sie tippte sich nachdenklich ans Kinn. „Weißt du, ich glaube, ich habe sogar von diesem Raub gehört – es ist schon ein halbes Jahr her, aber da stand irgendetwas von einem Skandal in Isgandol...“
Alec klatschte in die Hände. „Toll – weißt du was? Wir sollten das dringend verhindern. Wir sollten morgen mit Egrig reden und Brian ausquetschen. Nachdem ihr zwei heute Nachmittag schon so erfolgreich geflirtet habt –“
„Haben wir nicht!“, sagte Carina mit zusammen gebissenen Zähnen.
„– wird er sicherlich keinen Verdacht schöpfen und dir von all seinen Sünden erzählen!“
Carina bezweifelte, dass es so einfach werden würde, aber sie nickte.
„Erst die Sache mit Theos Dad und jetzt das!“, murmelte Alec kopfschüttelnd, als er im angrenzenden Bad verschwand, und konnte es nicht verhindern, ein wenig begeistert zu klingen.
Etwa zehn Minuten später lag Carina geduscht und umgezogen im Bett. Obwohl sie todmüde war und wusste, dass sie am nächsten Morgen früh aufstehen müsste, konnte sie lange Zeit nicht einschlafen – und versank schließlich in wirren Träumen über gestohlenen Schmuck, Urg den Unsauberen und jede Menge wütende Kobolde.

Das Rätsel um Brians Ohrringe[]

Der nächste Tag begann früh – zu früh.
Nachdem sich Alec und Carina bereit gemacht hatten, gingen sie hinunter in die Küche, wo bereits einige Esspakete und Thermoskannen mit Kaffee bereit standen.
„Nehmt euch ruhig“, sagte Theo, die sofort nach ihnen hinunter kam. „Soviel i–i–i–ihr wollt.“ Sie gab ein langes Gähnen von sich.
Carina sah Theo an. Sie sah noch blasser aus als gestern Abend. Offenbar hatte auch die wenig geschlafen. Ob sie wohl den gestrigen Streit mitbekommen hatte?
Die Frage wurde beantwortet, als sie sich gemeinsam auf dem Weg zur Haupthütte machten. „Etwas noch, was ich euch vergessen habe zu sagen. Gestern gab es einen kleinen Streit zwischen einem unserer Mitarbeiter und einem der Kobolde.“
„Ja, wissen wir“, sagte Alec, woraufhin Carina ihm heftig auf den Fuß trat und ihm einen bösen Blick zuwarf.
Doch Theo schien es nicht sonderlich zu überraschen. „Ja, natürlich, war ja auch nicht zu überhören für alle, die im Haus waren. Jedenfalls, für genau solche Fälle herrscht hier das Gebot, jeglichen Schmuck am Körper wegzulassen. Wie ihr vielleicht wisst, haben die Kobolde ein anderes Verständnis von Eigentum. In ihren Augen kann koboldgefertigtes Material nicht unter den Menschen vererbt, verschenkt oder verkauft werden, sondern gehört spätestens nach dem Ableben des Käufers rechtmäßig ihnen. Um das Verhältnis zwischen Zauberern und Kobolden nicht weiter zu belasten, sollten wir einfach Ringe, Ohrringe, Ketten und sonstigen Schmuck nicht offen herumtragen.“
Sie erreichten die Haupthütte, wo sie die misstrauische alte Hexe vom Vortag ablösten, die Nachtschicht geschoben hatte. Als sie heraus war, sprach Theo weiter.
„Offenbar hat Brian gestern seine Ohrringe den ganzen Tag getragen, und das war Egrig dann beim Abendessen aufgefallen. Wir wollen auf jeden Fall vermeiden, dass das Verhältnis zwischen uns, was hier noch ganz gut ist, zerstört wird. Gerade in diesen Zeiten. Die letzten Monate hatten einige Grenzregionen mit kleineren Aufständen und Revolten zu kämpfen, die man dann aber immer wieder diplomatisch lösen konnte. Sollten diese Konflikte aber überhand nehmen, steuern wir direkt auf einen Krieg zu. Also bitte nehmt dieses Gebot ernst und lasst euren Schmuck in den Schubladen.“
Sie sah Carina an. Etwas wehmütig nahm sie ihren Ohrschmuck am linken Ohr ab, ein Geschenk ihres Großvaters. Plötzlich konnte sie gut verstehen, wieso Brian seine Ohrringe nicht weggeben wollte. Während sie den Schmuck langsam in ihre Hosentasche gleiten ließ, erinnerte sie sich zurück an die alten Tage, als sie lachend die Sterne und Planeten durch das Teleskop beobachtete, mit ihrem Großvater an ihrer Seite...
Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, als eine kleine Gruppe Hexen die Straße hinaufkam. „Also, auf geht's“, sagte Alec und sie traten hinaus ins Freie.
Sie taten genau das, was sie bei Brian und Steve am vorigen Tag beobachtet hatten: Sie protokollierten, wer die Hexen waren, wo sie herkamen und aufgrund welchen Anliegens sie wo hinwollten – dann untersuchten und kontrollierten sie die Koffer. Allerdings war nichts spannenderes in ihnen zu finden, als selbstarbeitende Stricknadeln und Wollknäule (die Hexen waren schon etwas älter). Ähnlich ereignislos war es bei der Kleinfamilie, die danach kam, den bärtigen Hexenmeistern und dem Zauberer mit seinem Hauselfen. Theo beobachtete, wie sich Carina und Alec anstellten, nickte ab und zu oder verbesserte eine Kleinigkeit – war aber insgesamt so zufrieden, dass sie die Beiden um neun alleine ließ und sich an die eigene Arbeit machte.
Carina lachte und stieß Alec in die Rippen. „Jetzt guck bloß nicht so enttäuscht – wir können nicht in jedem Gepäck illegales Zeug finden, falls du dir das so vorgestellt hast.“
Alec verdrehte die Augen und sah sich um – aber es kamen keine neuen Reisenden.
„Theo scheint ja nicht im Entferntesten zu glauben, dass Brian diese Ohrringe geklaut haben könnte“, sagte er mit gesenkter Stimme.
„Ja“, murmelte Carina, „aber vielleicht ist das auch gar nicht der Fall... sie hat schon Recht, Kobolde können etwas verdreht sein, wenn es um 'ihre Besitztümer' geht – das hat uns selbst Lupin erklärt. Vielleicht... vielleicht ist Egrig einfach nicht damit klargekommen, dass der Schmuck in Brians Familie weiter gegeben wurde... und hat irgendwie überreagiert?“
Alec öffnete den Mund, als wolle er etwas erwidern, aber in dem Moment –
„Na, kommt ihr Neulinge zurecht?“
Sie fuhren herum und sahen Brian mit einem schiefen Grinsen und den Händen in den Hosentaschen im Türrahmen stehen.
„Ich hab nachher erst Schicht und dachte, ich gucke schon mal vorbei – momentan seht ihr ja nicht gerade überbeschäftigt aus.“
„Wir... nun...klar, wir kommen zurecht. Wir hatten uns nur gerade über – über – „
„Ihr habt euch über mich unterhalten, ich weiß.“
Er trat über die Schwelle, immer noch schief grinsend, sodass Carina unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
„Hey, ich würde das auch machen. Schließlich haben das ja nun fast alle mitbekommen.“ Sein Lächeln verschwand langsam. „Theo hat mich schon verwarnt. Sie sagt, ihr Vater hätte mich wahrscheinlich direkt gekündigt; aber sie will mir noch mal eine Chance geben.“ Sein Gesichtsausdruck wurde jetzt traurig, fast sogar beschämt, als er sich auf einen Stuhl setzte. „Ich frage mich, wie das passieren konnte...“
„Hey, schon okay, Brian. Ich weiß, wie das ist, Familienschmuck zu haben, der einem viel bedeutet“, sagte Carina und setzte sich trotz des missmutigen Blicks von Alec neben ihn auf einen Stuhl. „Mir fällt es auch schwer, den Schmuck von meinem Grandpa nicht tragen zu dürfen.“
„Das ist es nicht. Ich meine, wie konnte es überhaupt passieren, dass ihn hier getragen habe?“
Carina legte einen Arm um Brians Schulter, während Alec demonstrativ wegsah. „Hör zu Brian, ich kann verstehen, dass man gerne Erbstücke aus der Familie trägt, um ihre Erinnerung lebendig zu halten.“
„Ja, schon. Aber nein, ich meine ja, mein Vater ist erst vor vier Monaten gestorben, aber ich habe die Ringe noch nie getragen, wenn ich hier war. Immer nur daheim.“
„Warst du am Samstag vielleicht dort und hast sie vergessen abzumachen?“
Brian schüttelte den Kopf
„Dann hast du sie wahrscheinlich doch einmal in deinem Zimmer anprobiert.“
„Nein.“
„Bist du sicher? Wann hast du sie denn dann angesteckt?“
„Genau da liegt das Problem. Ich kann mich nicht erinnern, sie seit anderthalb Monaten überhaupt in der Hand gehalten zu haben.“
Carina runzelte verwirrt die Stirn.
„Du kannst dich nicht erinnern? Ich meine, du hast keine Erinnerung daran, die Ohrringe angelegt zu haben? Sie waren sozusagen... einfach plötzlich da?“
Brian vergrub das Gesicht in den Händen.
„Meine Güte, das klingt ziemlich dämlich, oder? Aber so war es – ich kenne die Regeln, ich würde hier keinen Schmuck tragen, dazu kenne ich die Kobolde lange genug. Wirklich. Kaum, dass ich gemerkt hatte, dass ich die Ohrringe trage, hat mich Egrig darauf angesprochen – und ihr habt ja den Rest mitgekriegt. Das Ganze ist echt verwirrend. Ihr...ihr glaubt mir nicht, oder? Ich kann es euch nicht mal übelnehmen. Ich würde mir auch nicht glauben.“
Er ließ die Hände fallen und lachte humorlos.
„Doch“, sagte Carina entschieden und warf Alec einen auffordernden Blick zu – aber er hatte die Arme verschränkt und musterte Brian mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Wir glauben dir. Es – es ist zwar etwas merkwürdig – okay, es ist extrem merkwürdig – aber vielleicht macht es sogar Sinn.“
„Ach ja?“, fragte Brian überrascht.
„Ja“, sagte Carina langsam, „vielleicht hat jemand dir den Schmuck absichtlich angelegt –
damit Egrig, oder zumindest irgendein Kobold, ihn sieht – und mit den Ohrringen von Urg verwechselt! Damit die Kobolde richtig sauer werden! Möglicherweise wollte jemand, dass es so aussieht, als ob die Zauberer die Kobolde betrogen hätten – damit es zu einem Waffenstillstand kommt! Vielleicht wollte jemand den Frieden zwischen Zauberern und Kobolden endgültig zerstören...“
„Mmh, ja. Das wäre möglich. Aber was würde derjenige denn damit erreichen wollen?“
„Das weiß ich nicht. Aber es würde sicherlich jemandem auch etwas bringen...“
Sie alle schwiegen einen Augenblick und dachten über diese Möglichkeit nach. Dann plötzlich löste Alec seine Verschränkung und sah Brian scharf an.
„Eine Sache würde ich aber doch gerne wissen. Wieso sehen diese Ohrringe denen von Urg so verdammt ähnlich? Das muss dir doch irgendwann mal aufgefallen sein, oder?“
Brian dachte kurz nach, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, soweit ich mich erinnern kann, hatte die mein Großvater schon gehabt und an meinen Vater weitergereicht. Und nachdem – nachdem – na ja, nach seinem Tod vor 4 Monaten habe ich sie bekommen. Mit dem Raub in Isgandol hatte ich mich nur am Rande beschäftigt, und der war ja auch schon einige Wochen her. Also nein, das ist mir niemals aufgefallen.“
„Aber du bist dir sicher, dass dies auch die Ohrringe von deinem Vater waren?“
„Natürlich! Wie kommst du denn darauf?“
„Na ja, weil…“ Alec sah Carina von der Seite an. „Weil Verwirrungszauber sehr effektiv sein können.“
Brian sah ihn erschrocken an.
„Das ist doch... du meinst doch nicht ernsthaft... du glaubst, jemand hat mich mit einem Verwirrungszauber belegt? Jemand hat mich dazu gebracht, diese... diese Ohrringe zu klauen und dann anzunehmen, sie wären von meinem Vater?“
Er sah ungläubig zwischen Alec, welcher bestätigend nickte, und Carina, welche nachdenklich an ihrer Unterlippe nagte, hin und her.
„Das ist doch verrückt! Ich meine, ich kann doch nicht... ich bin mir ganz sicher, dass...“
Seine Stimme verlor sich und ihm standen trotz seiner Worte eindeutig Zweifel im Gesicht geschrieben.
Carina legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hör mal, selbst wenn es so sein sollte, ist es definitiv nicht deine Schuld! Gegen so einen Verwirrungszauber ist jeder machtlos! Und vielleicht hast du die Ohrringe gar nicht geklaut, sondern sie wurden dir von jemandem untergejubelt – derjenige hat dich dann mit dem Confundus-Zauber belegt und gestern dazu gebracht, sie anzulegen, damit Kobolde sie sehen und erkennen.“

2018 01 29 08 52 33

Brian zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich hab inzwischen gar keine Ahnung mehr, was ich glauben soll – und mir will nicht in den Kopf, warum sich jemand so viel Mühe machen würde, um Streit mit den Kobolden anzufangen! Und wie sollen wir herausfinden, ob es wahr ist? Ob diese Ohrringe tatsächlich Urg gehören? Und ob“, er schluckte, „ob jemand sie mir untergeschoben hat, oder ob ich sie selber gestohlen habe?“
Carina holte Luft. „Also, da werden ich und Alec wahrscheinlich etwas Detektiv spielen müssen – wir müssen prüfen, ob dein Vater jemals im Besitz solcher Ohrringe war, wo du zur Zeit des Raubes vor 6 Monaten warst, wer alles die Möglichkeit hatte, dir den Verwirrungszauber anzuhängen – und vor allem sollten wir die wahre Identität dieser Ohrringe von einem Kobold prüfen lassen. Kobolde irren sich in diesem Fall nie.“
Brian zog skeptisch die Augenbrauen hoch. „Einem Kobold zeigen? Ernsthaft? Damit ich noch einmal attackiert werde?“
Aber bevor Carina etwas erwidern konnte, kam eine Gruppe von jungen Zauberern mit großen Reisekoffern an. „Wir treffen uns, wenn wir Schichtwechsel haben, okay? Um die Einzelheiten zu besprechen“, zischte sie, während Alec begann, die Koffer zu kontrollieren.
„In Ordnung“, seufzte Brian, und Carina drehte sich schwungvoll um, um sich ihrer Arbeit zu widmen.
Bis zum Nachmittag hatten sie dann alle Hände voll zu tun, um die Reisenden abzufertigen. Probleme gab es nur selten, aber einmal hatten sie es mit einem Koffer zu tun, dem bei der Kontrolle blitzschnell Zähne an oberen und unterem Deckel wuchsen und der sogleich nach Alec schnappte. Er konnte noch gerade rechtzeitig seinen Arm herausziehen und zurückspringen, als der Koffer ihm mit einem Satz nachsprang, bevor er wieder friedlich wurde. Dieser Diebstahlschutz war natürlich alles andere als zulässig, was den kleinen Zauberer, dem er gehörte, mächtig auf die Palme brachte. Doch Carina und Alec blieben souverän und konnten ihn mitsamt seinem Koffer zur Haupthütte bringen. Dort begleitete Theo Carina und den Mann dankenswerterweise zur Zentrale nach Johanngeorgenstadt (das Kaminnetzwerk reichte aus), während Alec die nächste halbe Stunde allein weiter die Reisenden abfertigte.
Gegen Mittag kamen dann Steve und Brian, um die beiden abzulösen. In diesem Moment hatte sich sogar eine Schlange vor der Grenzstation gebildet, sodass keine Zeit für viele Worte blieb.
„Wir reden später nochmal“, flüsterte Carina Brian zu, der kurz nickte und sich dann einer untersetzten Hexe widmete, die mit acht riesigen Koffern und Taschen kam, welche sie geschickt ohne Kollisionen schweben ließ.
Carina sah Alec an. „Also ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber ich könnte jetzt ein halbes Schwein verdrücken.“
„Du bist ein richtiger Vielfraß, weißt du das“, lachte Alec. „Also komm, lass uns gehen. Mal sehen, was Martha heute gezaubert hat.“
Es stellte sich heraus, dass es Kartoffelbrei mit Hähnchenschenkeln gab. Carina und Alec schnappten sich Teller, die heute, da es sehr viel voller als am Wochenende war, leider nicht angeschwebt kamen, luden sich Portionen auf und setzten sich an einen Tisch ein wenig abseits der anderen Arbeiter und Arbeiterinnen.
„Martha macht Molly echt Konkurrenz“, sagte Alec mit vollem Mund. „Von den Hauselfen auf Hogwarts ganz zu schweigen, obwohl die auch schon sehr gut waren.“ Er schluckte und beugte sich ein wenig zu Carina hinüber. „Also, was denkst du? Über die Sache mit Brians Ohrringen.“
Carina warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. „Ich denke, dass das Ganze eindeutig etwas mit unserer Mission zu tun haben könnte.“ Sie senkte die Stimme. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Sache mit Brians Ohrringen in Verbindung zu den kürzlichen Koboldaufständen steht, für die wir hierher geschickt wurden. Und eventuell auch mit dem Verschwinden von Theos Vater. Und wer fällt uns ein, der dazu fähig wäre, Brian mit einem derart mächtigen Verwirrungszauber zu belegen – und wahrscheinlich davon profitieren würde?“
„Todesser“, antwortete Alec langsam. „Sicher wären sie dazu im Stande, aber wozu? Natürlich stiften diese Typen gerne Unruhe und so weiter, aber warum sollten sie davon profitieren, dass die Kobolde wieder Krieg mit den Hexen und Zauberern anfangen?“
Carina starrte nachdenklich den Kartoffelbrei auf ihrer Gabel an.
„Darüber habe ich auch schon nachgedacht – und mir sind zwei Lösungen eingefallen. Erstens: vielleicht haben sie geplant, dass sie die Kobolde so auf ihre Seite ziehen können – wie sie es auch schon früher mit den Riesen gemacht haben.“
„Also bitte“, unterbrach Alec sie kopfschüttelnd. „So dämlich sind nicht einmal Todesser. Wenn die Kobolde sich gegen die Zauberer wenden, dann doch vermutlich gegen ALLE Zauberer! Die werden sich doch nicht den Todessern anschließen, wenn auch die den „arroganten, diebischen Zauberer-Feinden“ angehören.“
„Ich sage ja nur, dass sie vielleicht so gedacht haben“, räumte Carina ein. „Außerdem könnten die Todesser es so drehen, dass sich die Kobolde gegen alle Zauberer wenden – nur nicht gegen sie selbst!“
Alec runzelte fragend die Stirn.
„Na, sie könnten den Kobolden zum Beispiel unendlich viel Gold und Edelmetalle versprechen, ihnen schmeicheln und sie irgendwie von sich überzeugen. So hätten sie den Vorteil, die geballte Kraft der Kobolde auf ihrer Seite zu haben... was mich zu meiner zweiten Überlegung bringt.“ Sie nahm noch einen Bissen, bevor sie weitersprach.
„Es wäre zwar alles taktisch klug, aber da gibt es immer noch diese verdrehte Sichtweise der Todesser –“, sie verzog das Gesicht, „du weißt schon, ihrer Meinung nach sind doch nur reinblütige Hexen und Zauberer akzeptabel – und Muggel und Wesen wie Zentauren UND Kobolde sind weit unter ihrem Niveau. Bei den Riesen haben sie damals eine Ausnahme gemacht, weil sie die wirklich für ihren Nutzen gebraucht haben – aber ich bin mir nicht sicher, ob es ihnen wert ist, eine ganze Rasse für sich zu gewinnen – aber dafür so 'wertlosen Geschöpfen' – du weißt, ich rede nur so, wie sie reden würden – wie Kobolden zu schmeicheln und ihnen Reichtümer zu versprechen. Deswegen habe ich an Theos Vater gedacht – daran, dass er schon immer so offen gegen Du-Weißt-Schon-Wen war. Vielleicht haben die Todesser gehofft, sie könnten das ganze Zollamt, alle Leute, die Kontakt zu diesem Mann hatten und noch einmal Probleme machen könnten, einfach beseitigen – indem sie Zoff mit den Kobolden anfangen. Vielleicht haben sie gehofft, das Ganze würde in einem riesigen Kampf und Blutbad enden – und sie hätten eine Menge Befürworter für Potter und potenzielle Gegner von Du-Weißt-Schon-Wen mit einem Mal aus dem Weg geschafft, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Ob die ein oder anderen Kobolde mit draufgehen, war ihnen wahrscheinlich relativ egal“, endete sie bitter und biss von ihrem Hähnchen ab.
Alec sah sie mit großen Augen an. „Wow, du hörst dich langsam wie ein richtiges Mitglied des Ordens an!“
Sie lächelte schwach und für einen Moment schwiegen sie beide.
„Tja, Cari“, sagte Alec schließlich, „wir sollten baldmöglichst herausfinden, ob du Recht hast. Aber wenn wir es wirklich mit aggressiven Kobolden UND Todessern zu tun haben, finde ich, dass wir beide uns diese beißenden Reisetaschen anschaffen sollten.“

Besuch bei Kobolden[]

Nach dem Mittagessen gingen sie beide hinaus. Es war schönes Wetter, und Alec hatte Carina dazu überreden können, einen Spaziergang durch den nahegelegenen Wald zu machen.
„Ich brauche klare Gedanken, sonst platzt mir hier der Kopf.“
Also machten sie sich beide auf den Weg.
Eine ganze Weile gingen sie zwischen den Fichten dahin, schweigend, jeder in seinen Gedanken. Alec schien froh, zur Abwechslung endlich über andere Dinge sinnieren zu können, doch Carina dachte weiter fieberhaft nach, wie sie vorgehen sollten. Nach einer ganzen Weile ergriff sie das Wort, um Alec von ihren Ideen zu berichten.
„Also, ich glaube zwei Dinge stehen momentan ganz oben auf der Liste. Wir müssen herausfinden, ob die Ringe von Brian wirklich die von Urg sind, oder ob sich Egrig vielleicht doch geirrt hat. Also müssen wir Brian überreden, uns die Ringe zu geben oder selbst mitzukommen. Auch sollten wir dabei versuchen, die angespannte Situation so schnell wie möglich zu entschärfen. Falls es sich tatsächlich um die Ohrringe von Urg dem Unsauberen handelt, müssen wir so viel wie möglich über diesen Raub in Erfahrung bringen. Um feststellen zu können, ob es sogar Brian selbst war, der sie gestohlen hat.“
„Und wie wollen wir das herausfinden, Madame?“ fragte Alec, etwas verärgert darüber, dass sie schon wieder beim Thema waren.
„Na ja, die Zeitungen haben schließlich ausgiebig darüber berichtet. Wir müssen eigentlich nur ins Archiv gehen“, sagte Carina
„Und wo ist das?“
„Äh – keine Ahnung. Berlin, oder?“
„Eben, ich weiß es auch nicht“, lachte Alec, nun doch wieder etwas weniger mürrisch. „Das müssten wir als allererstes herausfinden, oder?“
„Ja. Aber das lässt sich ja leicht erfragen, wenn wir zurück sind.“
Alec seufzte. „Weißt du, Cari, irgendwie hab ich immer noch die leise Hoffnung, dass sich Egrig einfach geirrt hat. Es würde viel weniger Stress für die erste Woche bedeuten. Kaum sind wir hier, schon bricht die Hölle aus. Mir gefällt das irgendwie nicht.“
Carina blickte ihn nachdenklich, aber entschlossen an. „Ja, mir auch nicht besonders. Aber wir haben eine Spur, dass das so schnell ging, hat wohl niemand erwartet. Und diese Spur werden wir verfolgen, was auch immer da kommen möge!“
Alec faltete die Hände zusammen. „Darauf ein Amen.“
Carina lächelte Alec an und gemeinsam machten sie sich zurück zur Haupthütte.
Die Entscheidung, was sie als Erstes tun sollten, wurde ihnen abgenommen, als Brian ihnen drinnen entgegen kam.
„Ich bin für heute Nachmittag fertig und muss dafür später nach dem Abendessen nochmal Schicht schieben. Also... ich nehme an, ihr habt irgendwelche brillanten Pläne entwickelt? Die hoffentlich nicht involvieren, sich schon wieder wütenden Kobolden auszuliefern?“
„Ja – was diese brillanten Pläne angeht – falls es dir nichts ausmacht, würden wir uns gerne erstmal diese Ohrringe aus nächster Nähe angucken“, erwiderte Carina mit einem Seitenblick zu Alec.
„Klar, wenn ihr meint“, sagte Brian achselzuckend und die drei machten sich auf den Weg über die Wiese zur Unterkunfshütte.
Brians Zimmer war tatsächlich eines der Ersten auf dem langen Flur, zu dem die Wendeltreppe aus Marmor führte. Von innen ähnelte es sehr ihrem Eigenen, was Carina bemerkte, als Brian die Tür aufschloss und sie hinein winkte. Ein Fenster, von dem aus man einen Blick auf die Berge hatte, ein Bett, ein Kleiderschrank, ein eigenes Badezimmer und ein paar Regale. Es war allerdings ein bisschen kleiner, nur für eine Person eingerichtet – und deutlich unordentlicher. Auf dem Boden lagen einzelne Socken, T-Shirts, Taschentücher und Verpackungen von Süßigkeiten in einem hübschen Chaos verstreut.
„Ähm – tut mir leid, ich bekomme hier nicht sonderlich oft Besuch“, sagte Brian verlegen.
„Oh, kein Problem, einer von uns ist noch viel unordentlicher, nicht wahr, Alec?“, sagte Carina zuckersüß.
Während Brian sich an einer hölzernen Schachtel auf dem Fensterbrett zu schaffen machte, schauten sich die beiden die Poster an den Wänden an. Es gab ein Poster einer amerikanischen Rockband namens „142 Staircases“ (drei der tätowierten Bandmitglieder waren momentan am Schlafen, die anderen beiden beobachteten Carina und Alec mit mildem Interesse) und ein Poster mit einem goldenen Vogel auf rotem Hintergrund. Die Flügel des Vogels bewegten sich träge, während Carina die Schrift am Rand las: 'Donnervogel'.
„Du warst auf Ilvermorny?“, fragte Alec überrascht. Es war logisch, dass Brian nicht auf Hogwarts gewesen sein konnte – er hätte doch höchstens ein paar Stufen über ihnen sein müssen – aber trotzdem hatte auch Carina nicht darüber nachgedacht, wo er stattdessen hätte sein können.
„Oh, ja“, antwortete Brian grinsend über seine Schulter hinweg. „Meine Mutter war Amerikanerin, also bin ich dort aufgewachsen. Meine Ausbildung hatte ich dann in England – und schließlich hat es mich an diesen Posten in Deutschland verschlagen. Also“, er wandte sich ihnen zu und streckte die Hand aus, „das sind sie.“
In seiner Hand befanden sich zwei kleine, runde Ohrringe. Sie waren silbern und ziemlich schlicht – sie hätten von Frau und Mann getragen werden können – nur in ihrer Mitte war irgendetwas eingraviert.
Carina nahm die Ohrringe vorsichtig und hielt sie dicht vor ihre Augen – aber sie konnte die Gravur nicht lesen. Es waren nur ein paar feine Linien. Oder?
„Brian, es wird dir nicht gefallen, aber wir müssen die wirklich einem Kobold zeigen“, stellte Alec fest. ,,Ich zumindest habe keine Ahnung von Schmuck. Und wir sollten Egrig fragen.“
Brian stöhnte resigniert. „Muss das sein? Muss ich mitkommen?“
„Hör mal, du wirst Egrig hier früher oder später ohnehin begegnen – dann kann es auch jetzt sein!“, sagte Carina entschlossen. „Es ist außerdem besser, wenn wir IHN fragen, damit wir nicht noch andere Kobolde in Alarmbereitschaft versetzen – und wir können ihm bei der Gelegenheit auch gleich alles erklären und ihn etwas besänftigen.“
Brian seufzte. „Anscheinend hab ich ja keine Wahl – und ich will diese Sache verdammt nochmal endlich aufklären. Mir liegt noch so viel an meinem Ruf, dass ich nicht für einen Dieb gehalten werden will.“
„Das wollte ich hören!“, sagte Carina enthusiastisch. „Also los.“
Sie gingen die Treppenstufen hinab, zunächst bis ins Erdgeschoss, dann weiter in die Tiefe. Hier gab es keine Fenster mehr, der Weg wurde lediglich von einigen Fackeln erleuchtet. Mit jedem Schritt, den sie tiefer stiegen, wurde es kälter. Carina bereute es sofort, ihre Jacke nicht angezogen zu haben, doch sie ging entschlossen weiter.
Endlich erreichten sie die untere Ebene. Während die Wände im Ober- und Erdgeschoss vor allem mit Holz und Putz verkleidet waren, gab es hier nur nackten Stein. Offenbar war die gesamte Etage in den Fels gehauen wurden, auf dem die Hütte stand. Erzadern verschiedener Farben schimmerten im Fackellicht zwischen dem Grau der Steine hervor und besänftigten damit etwas das erdrückende Gefühl, was sich bei allen einstellte. Der Gang war nicht sehr hoch, vielleicht 1,60m – 1,70m, sodass alle drei etwas gebückt gehen mussten.
Links wie rechts gab es massive mit Eisen beschlagene Holztüren. Diese waren sogar noch kleiner als der Gang, kaum 1,20m hoch. Daneben befanden sich Schilder, die die Bewohner der Wohnung anzeigten. Allerdings waren sie in der Dunkelheit schwer zu lesen, noch dazu, weil sie in verschiedenen Schriften eingraviert waren.
Carina zückte ihren Zauberstab. „Lumos“, flüsterte sie und suchte die linke Seite nach der Aufschrift 'Egrig' ab. Alec tat es ihr gleich und ging die rechte Seite ab, während Brian dezent hinter ihnen blieb.
Etwa in der Mitte des Ganges rief Alec sie zu sich. „Hey, ich glaube, es ist hier.“ Sie kamen heran, und tatsächlich ließ sich hier der Name in sehr geschwungenen Zügen erkennen.
„Also dann“, sagte Carina. Ihr Herz klopfte wie wild, als sie „Nox“ flüsterte und die Spitze ihres Zauberstabes erlosch. Auch Alec löschte das Licht und in dem unheimlichen schwachen Licht der flackernden Fackeln klopfte Carina an.
Ein paar Sekunden lang herrschte eine angespannte Stille, in der Carina nur die nervösen Atemzüge von Alec und Brian hörte. Sie fragte sich schon, ob Egrig vielleicht gar nicht in seinem Zimmer, sondern am Arbeiten war – und, was sie in diesem Fall als Nächstes tun sollten.
Aber in diesem Moment hörten sie ein kehliges „Ja?“, aus dem Inneren des Raumes, Carina warf Brian einen ermutigenden Blick zu und öffnete vorsichtig die Tür. Das Zimmer des Koboldes hätte sich von ihren Zimmern im Obergeschoss kaum mehr unterscheiden können. Die steinernen Wände sorgten dafür, dass es kühl und ein wenig höhlenartig war, dennoch war das Ambiente sehr sauber und ordentlich. Es gab ein schlichtes, niedriges Bett, ein paar Schränke, die in die Wände eingelassen waren, und einen prunkvollen Schreibtisch, an dem Egrig über ein paar Dokumente gebeugt saß.
Natürlich gab es keine Fenster – stattdessen wurde das Zimmer von weiteren Fackeln beleuchtet. Egrig hatte sich auf dem Stuhl halb umgedreht und beäugte Carina und Alec halb misstrauisch, halb neugierig. Brian hatte sich, wie auf dem Weg besprochen, vorerst hinter dem Türrahmen versteckt und somit noch nicht in Egrigs Blickfeld begeben.
Carina räusperte sich.
„Ähm, Guten Tag, vielleicht erinnern Sie sich noch vom gestrigen Abendessen an uns – wir sind Carina McMay und Alec Moher, die –“
„Neuen Arbeiter“, beendete Egrig ihren Satz und nickte. „Ja, ich erinnere mich. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich bin gerade sehr beschäftigt, also was wollen Sie?“
Carina presste die Lippen aufeinander – und anstatt zu antworten, zog sie Brian am Ärmel zu sich in den Raum hinein.
Egrig kniff die Augen zusammen und fluchte etwas auf Koboldogack, bevor er wütend aufsprang und Brian unwillkürlich einen Schritt zurück wich.
„Na, sieh mal einer an! Bist du gekommen, um noch einen Kobold zu beklauen?! Tut mir leid, dich zu enttäuschen, aber ich habe hier keinen wertvollen Schmuck! Und ihr zwei steckt mit ihm unter einer Decke, nicht wahr? Oh, ihr Zauberer seid doch alle gleich, haltet euch für etwas Besseres, ihr arrogantes Pack! Wie es der Zufall will, habe ich gerade vorgehabt, den großen Urg zu benachrichtigen – und dann werdet ihr bezahlen! Ihr –“
„Egrig, wir kommen in Frieden!“, sagte Brian mit abgehobener Stimme und machte eine beruhigende Geste. „Wir wollen nichts klauen, wir werden für nichts bezahlen und du wirst den großen Urg schön unbenachrichtigt lassen.“
„Ach ja? Werde ich das?“ Seine Stimme überschlug sich fast vor Wut. „Wage es nicht, mir vorzuschreiben, was ich tun und lassen soll, Zauberer! Ihr werdet schon sehen –“
„Brian hat die Ohrringe nicht geklaut“, unterbrach Carina ihn ruhig und brachte den aufgebrachten Kobold damit zum Schweigen. „Deswegen sind wir hier.“
„Achso, jetzt kommt ihr wieder mit der Geschichte, die Ohrringe seien schon lange in seiner Familie, ja?“, höhnte Egrig. „Als ob ICH es nicht eindeutig besser wüsste!“
„Nein, das sagen wir nicht. Wir wissen nicht, ob diese Ohrringe Brian gehören“, erklärte Carina.
„Aha! Also gebt ihr zu –“
„Wir geben überhaupt nichts zu. Es wäre sehr gut möglich, dass diese Ohrringe Urg gehören. Aber wir sind uns trotzdem sicher, dass Brian sie nicht gestohlen hat. Jedenfalls nicht wissentlich.“
Egrig öffnete den Mund, runzelte die Stirn – und schloss ihn wieder.
Und während Alec die Tür schloss, begannen die drei, die Sache zu erklären.
„Brian glaubt auf jeden Fall, dass die Ohrringe ihm gehören“, sagte Carina. „Und zwar als Erbe von seinem Vater, der es wiederum von seinem Großvater hatte und so weiter. Stimmt's Brian?“
„Richtig. Als mein Vater vor vier Monaten starb, hat er sie mir hinterlassen. Seitdem habe ich sie in einem kleinen Päckchen, was ich aber meistens im Zimmer lasse. Außer gestern, da hab ich sie dann doch getragen. Das Problem ist, dass – also, das Ding ist –“
„Er kann sich nicht dran erinnern, sie angelegt zu haben. Sie waren einfach so da, nicht wahr?“
„Ja, so ist es.“ Brian schaute verlegen zu Boden, während Egrig ungläubig schnaubte.
„Wir haben schon überlegt, wie so etwas passieren kann“, meldete sich Alec zu Wort. „Und vielleicht wäre es ja möglich, dass jemand ihn gezwungen hat, die Ringe anzulegen, ohne dass er davon weiß. Du weißt schon, Vergessens- und Verwirrungszauber, so was in der Art. Damit genau das passiert, was gestern Abend passiert ist: Ein Streit und ein Ende der Waffenruhe. Und das wollen wir auf keinen Fall!“
Egrig blickte weiterhin skeptisch zu ihnen auf, hörte aber dennoch zu.
„Jetzt ist natürlich die Frage, was das tatsächlich für Ringe sind“, meinte Carina. „Vielleicht sind sie ja wirklich einfach die Ringe seines Vaters. Aber vielleicht hast du auch Recht, und es sind tatsächlich die Ringe von Urg. Wir haben sie hier.“
Sie sah Brian an. Dieser griff in seine Jacke und zog die Ohrringe heraus. Mit wehleidigem Blick gab er sie dem Kobold, dessen Augen aufblitzten und sie sofort fixierten.
„Wir möchten dich bitten, diese Ohrringe genau zu untersuchen. Am besten mit Hilfe eines anderen Koboldes. Wir müssen absolut sicher sein, von wem diese Ohrringe stammen. Denn wenn es wirklich die Ringe aus Isgandol sind –“
„Dann haben wir ein Problem“, beendete Egrig den Satz. Seine Stimme war wieder auf eine normale Lautstärke gesunken, er sprach sehr sachlich und ruhig. „Ich verstehe. Mein Urteil hat sich bis jetzt nämlich nicht geändert. Aber ich werde eurer Bitte nachkommen und meine Kollegen befragen. Bitte, setzt euch doch kurz hierhin, während ich jemanden hole.“ Er deutete auf eine alte Couch, auf der die drei gut Platz finden konnten. „Ich bin gleich wieder da.“
Egrig marschierte hinaus – natürlich nicht ohne die Ringe – und schloss die Tür hinter sich. Carina, Alec und Brian setzten sich auf die quietschende Couch, die erstaunlich bequem war.
„Wow, der kann ja richtig nett sein. Hätte ich gar nicht gedacht“, meinte Brian, dem die Erleichterung deutlich anzusehen war, dass es so gut lief.
„Ja, das stimmt“, sagte Alec. „Bin gespannt, was nun hierbei herauskommt.“
„Ja, das bin ich auch“, stimmte Carina ihnen zu.
So warteten sie einige Minuten, bis sich die Tür erneut öffnete. In den Raum trat Egrig, gefolgt von einem anderen Kobold, den Carina und Alec auch schon flüchtig vom vergangenen Abend kannten.
„Agnas, falls ihr euch nicht erinnert“, stellte Egrig ihn an Carina und Alec gewandt knapp vor.
Agnas war ein wenig älter als Egrig; er hatte spärliches graues Haar und war ein bisschen stämmiger und kleiner. Seine schwarzen Augen waren auf die Ohrringe in Egrigs Hand fixiert und er wandte den Blick erst ab, als Egrig sie vorsichtig auf seinen Schreibtisch legte und allerlei zierliche, silberne Testinstrumente daneben ausbreitete.
„Was für eine verblüffende Angelegenheit“, sagte er mit einer etwas heiseren Stimme und sah Brian durchdringend an. „Egrig hat mir auf dem Weg alles erzählt. Als ich die Ohrringe sah, war mir sofort klar, wem sie gehörten... ich konnte kaum glauben, was mein Kollege dort in der Hand hielt.“
Brian rutschte unbehaglich auf dem Sofa herum. „Ja... nun ja, zunächst müssen Sie prüfen, ob sie echt sind, nicht wahr?“
„Natürlich“, sagte Agnas ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Glücklicherweise ist Edelmetall- und Schmuckbestimmung mein Spezialgebiet.“

2018 01 29 08 49 32

Egrig hatte sich inzwischen eine merkwürdige Brille aufgesetzt und winkte Agnas zu sich.
Zusammen beugten sich die beiden Kobolde über die Ohrringe, klopften vorsichtig auf sie ein, betrachteten sie durch ein seltsames Vergrößerungsgerät und verglichen sie mit anderen Metallen. Carina, Alec und Brian waren aufgestanden, um die Arbeit der beiden besser beobachten zu können – nicht, dass einer von ihnen viel davon verstanden hätte.
Sie hörten nur ab und zu ein triumphierendes Schnauben von Egrig, ein heiseres „Genau, wie ich dachte“, von Agnas und ein paar gewechselte Worte auf Koboldogack.
Eine kleine Ewigkeit später legten sie das Werkzeug weg und wandten sich mit ernsten Mienen Carina, Alec und – ganz besonders – Brian zu.
„Wir haben die Ohrringe verschiedenen Tests unterzogen und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie absolut einzigartig sind. Die Verarbeitung des Silbers, die Art, wie sie geschliffen wurden – so etwas könnte nur die geschickte Hand eines Koboldes herstellen“, begann Agnas. „Doch das wirklich ausschlaggebende ist die Gravierung am Rand. Es ist, ganz einfach gesagt, die Abkürzung für einen berühmten Satz in der Sprache der Kobolde. Übersetzt heißt er so etwas wie...“
„Ob in Rebellionen oder Kriegen, der Reichtum des Kobolds wird immer siegen“, beendete Egrig den Satz – und Carina sackte das Herz in die Hose.
„Nun, die Initialen dieses Satzes in unserer Sprache sind in diese Ohrringe eingraviert. Und rein zufällig war es das Kampfmotto des großen Urg zur Zeit der Aufstände.“
Egrig ging mit verschränkten Armen einen Schritt auf Brian zu. „Ich für meinen Teil bin mir nun hundertprozentig sicher, dass diese Ohrringe sich niemals im Besitz deiner Familie befunden haben.“
„Aber ich schwöre, dass ich nichts davon wusste! Und ich habe sie erst recht nicht geklaut! Zumindest nicht bewusst... Aber ich kann mich ja noch nicht mal daran erinnern sie angelegt zu haben!“ Brian wurde rot und sah bittend zu den Kobolden, hoffend, dass sie ihm glauben.
„Jaja das würde jeder sagen...“ erwiderte Egrig ungläubig.
„Aber es stimmt! Ich meine, was hätte ich denn davon?“
„Was du davon hättest, die Ohrringe des großen Urg zu besitzen? In eurer Währung sind sie tausende von Galleonen wert, davon abgesehen, dass sie, wie gesagt, absolut einzigartig und unermesslich wertvoll sind!“, knurrte Egrig.
„Okay“, sagte Carina und machte eine beruhigende Handbewegung.
„Wir sind uns darüber einig, wie wertvoll sie sind – aber wir haben dir die Wahrheit gesagt. Brian hat sie nicht gestohlen. Und das werden wir beweisen.“ Sie tauschte einen Blick mit Alec aus. „Ich glaube nicht, dass wir die Ohrringe noch brauchen – wir wissen ja jetzt, dass Brians Familie sie niemals erkennen würde, und sie werden wahrscheinlich keine weiteren Hinweise offenbaren. Vor allem ist es jetzt wichtig, sie Urg zurück zu geben... ja, ich denke, ihr könnt sie behalten.“
„Tatsächlich?“, sagten Brian und Alec im Chor.
„Nun, natürlich, es ist schließlich unser gutes Recht“, brummte Egrig, und seine schwarzen Augen leuchteten plötzlich. „Diese Ohrringe sind Eigentum der Kobolde und wir werden sie auf der Stelle dem großen Urg zurücksenden.“
Brian ließ den Kopf hängen und Alec klopfte ihm mitleidig auf die Schulter.
„Tut mir leid, Mann. Aber denk dran: Eigentlich haben sie nie deinem Vater gehört. Du hast gar keine Verbindung zu ihnen.“
„Tja, ja, es fühlt sich aber anders an“, murmelte Brian, aber als er Egrigs Blick bemerkte, fügte er schnell hinzu: „Ist ja gut, ihr könnt sie doch behalten!“
„Und wie sollen wir dem großen Urg erklären, wie der Schmuck seinen Weg hier her fand, wenn ich fragen darf?“, bemerkte Agnas.
„Sagt ihm... sagt ihm, ihr wüsstet es nicht genau; ihr hättet die Ringe durch Zufall bei der Kontrolle metallischer Gegenstände gefunden und ihn erkannt. Oder denkt euch eine richtig coole Heldengeschichte aus, damit der große Urg euch belohnt – macht, was auch immer ihr wollt, nur sagt nicht, dass ein Zauberer ihn geklaut haben könnte. Bitte, mehr wollen wir nicht: ihr habt eure Ohrringe, wir haben immer noch Waffenstillstand und alle sind glücklich und zufrieden.“
Egrig und Agnas sahen sich an und besprachen sich leise in der Koboldsprache.
Schließlich nickten sie beide.
„In Ordnung. Uns sind die Ohrringe am wichtigsten. Aber wir wollen Antworten. Wenn ihr also Beweise habt, wenn ihr wisst, wer den Besitz unseres Helden tatsächlich geklaut bzw. ihn Brian untergeschoben hat, werdet ihr uns benachrichtigen – damit wir uns um ihn kümmern können. Ansonsten überlegen wir uns doch noch einmal, ob wir diese außergewöhnliche Geschichte glauben oder nicht.“
„Danke!“, sagte Carina erleichtert. „Das ist alles, was wir wollen.“
Sie verabschiedeten sich von den Kobolden, die ohnehin nur noch Augen für den Schmuck hatten und sich schnell auf Koboldogack unterhielten.
„Großartig, und wie sollen wir das jetzt anstellen?“, seufzte Brian, als sie sich durch den steinernen Flur auf den Weg zurück ins Obergeschoss machten.
Carina und Brian sahen sich an. „Recherche, Recherche, Recherche – und zuerst müssen wir so viel wie möglich über diesen Raub herausfinden.“

Spionage im Zollamt[]

Als sie zurück nach oben stiegen, entschieden sich Alec, Carina und Brian, direkt zum Abendessen zu gehen. Es war zwar noch eine gute halbe Stunde hin, bis es mit Martha's Hauptgericht losgehen sollte – es waren gebratene Auberginen auf Brot angekündigt – aber Brian meinte, er brauche dringend was zu knabbern. Also gingen sie in die Küche, wo Martha schon fleißig arbeitete und Gemüse in Stücke schnitt, holten sich ein paar Kekse und setzten sich an den Tisch.
„Also“, sagte Brian, „wie wollt ihr etwas über den Raub heraus finden? Ihr wollt doch keine Zeitumkehrer nutzen, oder?“
„Nein, natürlich nicht“, flüsterte Carina. Sie legte die Finger an die Lippen und deutete auf die Tür, durch die Karl gerade herein kam, um ebenfalls in die Küche zu gehen. „Nein, das ist zu gefährlich. Eigentlich dachte ich, man könnte mal ins Archiv schauen, um die Hintergründe des Raubes herauszufinden. Schließlich wurde ja viel darüber berichtet, auch in Deutschland. Die Frage ist: wo ist das Archiv eigentlich in Deutschland?“
Brian überlegte kurz. „Mmh, keine Ahnung. Berlin?“
„Haben wir auch schon überlegt“, meinte Alec. „Aber wir wissen nicht, wo das dort sein soll...“
„Tja, ich kann euch leider auch nicht helfen, weil–“
KNALL
Die Tür zur Küche flog auf und Karl stolperte mit einer Beule am Kopf heraus. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, krümmte sich und lachte wie verrückt. Sie sahen noch Martha's wütendes Gesicht und hörten etwas wie „Lass dich hier nicht wieder blicken“, bevor die Tür mit einem weiteren Knall wieder zuflog. Karl jedoch bekam sich nicht wieder ein, er knickte irgendwann ein und legte sich auf die Seite, wo er weiter lauthals lachte.
Brian war der Erste, der reagierte. Er zog seinen Zauberstab und richtete ihn auf Karl.
„Finite Incantatem.“
Sofort hörte Karl auf zu lachen und fasste sich stattdessen an den Kopf, wo die Beule saß.
„Autsch. Sie ist aber auch unbelehrbar.“ Er schüttelte den Kopf, rappelte sich auf und wankte zu dem Tisch, an dem die drei saßen. „Sie will einfach nicht verstehen, dass man die Auberginen schälen muss, um ihr Aroma zu entfalten. Und dann diese überzogene Reaktion!“ Wieder schüttelte er den Kopf. „Aber danke dir Brian, dass du ihren Kitzelfluch beendet hast. Sie weiß genau, womit sie mich rankriegt, das ist so schlimm! Also, vielen Dank.“
Er beruhigte sich langsam wieder, und dann bemerkte er, dass er ihr Gespräch unterbrochen hatte. Schnell erhob er sich wieder.
„Oh, entschuldigt bitte, ich will euch natürlich nicht bei irgendetwas stören –“
„Nein, warte Karl!“, sagte Carina. „Du kommst gerade richtig. Wir wollen nämlich gerade herausfinden, wo sich in Deutschland das Archiv befindet.“
„Das Archiv? Na, im Ministerium für Zauberei natürlich!“
„Und wo ist das?“
„Wo das ist? Ihr wisst nicht, wo das ist?“
„Nein, wir sind ja eigentlich alle nicht von hier“, sagte Brian entschuldigend. „Also, ich bin zwar schon etwas länger da, hab mich aber nie dafür interessiert...“
„Na gut, na gut“, sagte Karl. „Also, das Archiv ist im vierten Stock des Ministeriums, und das befindet sich in Thale.“
„WO?“, fragte alle drei gleichzeitig.
„Meine Güte, ihr seid aber wirklich schlecht informiert“, sagte Karl, der sich wieder hinsetzte, um etwas weiter auszuholen. „Also, zur Zeit der Hexenverfolgungen zogen sich die meisten der magischen Bevölkerung in den Harz zurück. Am nordöstlichen Rand davon liegt der Ort Thale, wo sie, ähnlich wie in London, einen magischen Rat gründeten. Daraus entwickelte sich dann mit der Zeit, wie in anderen Ländern auch, ein ausgeprägtes System zur Organisation der magischen Gesellschaft.
Das blieb natürlich vor allem in der Anfangszeit den Muggeln nicht verborgen, deshalb befinden sich noch heute dort ein Hexentanzplatz oder die Walpurgishalle. Das gehört irgendwie zu ihrer Kultur; es scheint sie zu gruseln, aber sie scheinen das auch irgendwie richtig zu feiern. Keine Ahnung, man muss die Muggel nicht immer verstehen.
Jedenfalls ist gerade heute sehr vorteilhaft, dass sich das Ministerium dort befindet, denn solche Leute, die das Geheimhaltungsabkommen nicht ernst genug nehmen und sich traditionell kleiden, fallen nicht so stark auf wie anderswo. Deshalb ist man einfach dort geblieben.“
„Okay... vielen Dank, Karl“, sagte Carina langsam. Das Archiv war also in Deutschland, im Zaubereiministerium...
„Gibt es einen Grund für die Frage?“, wollte Karl neugierig wissen.
Carina und Alec tauschten einen Blick aus. Die Sache mit dem Diebstahl hatte höchstwahrscheinlich etwas mit ihrer Mission zu tun – also sollten sie so wenige wie möglich ins Vertrauen ziehen, oder?
„Nein, nur aus Interesse“, antwortete Carina und winkte ab.
„Na schön“, seufzte Karl. „Vielleicht wage ich es noch einmal, mit Martha zu sprechen...
wünscht mir Glück!“
Während er wieder in der Küche verschwand, steckten Carina, Brian und Alec die Köpfe zusammen.
„Und? Wann wollen wir ins Archiv?“, fragte Brian. „Heute Abend habe ich, wie gesagt, noch Schicht, aber –“
„Brian, mein Junge!“
Alle drei zuckten zusammen, als der ältere Zauberer namens Steve plötzlich neben ihnen stand und Brian auf die Schulter klopfte.
„Ich habe dich gesucht. Wollte noch 'ne Kleinigkeit wegen des verhexten Koboldstein-Spieles von heute Vormittag besprechen – hast du 'ne Sekunde?“
„Es... in Ordnung“, seufzte Brian und stand auf. „Was gibt's?“
Während die Beiden sich unterhielten, beugte Carina sich zu Alec hinüber.
„Die Frage, die sich jetzt stellt, ist folgende: Sollen wir geheim ermitteln? Sozusagen... mit verdeckten Karten spielen?“
„Mit verdeckten Karten spielen?“, wiederholte Alec belustigt. „Woher hast du das denn?“
„Alec“, sagte Carina warnend. „Ich meine, sollen wir Brian sagen, was wir wirklich vermuten? Dass ein Todesser hinter dem Diebstahl stecken könnte? Sollen wir ihm sagen, warum wir wirklich hier sind? Und sollen wir Theo Bescheid sagen, dass wir ins Archiv gehen, oder sollen wir uns nachts davonschleichen? Wir könnten ihr natürlich erzählen, dass wir allgemein über die Geschichte der Kobolde und den Raub in Isgandol recherchieren wollen, aber ob sie uns das glauben wird?
Und vor allem –“, Lupins Worte hallten in ihrem Kopf wieder wie ein Echo, das man nicht ausblenden konnte, „sollen wir den Orden benachrichtigen und ihnen die ganze Geschichte erzählen, oder sollen wir, weil wir uns der Sache noch nicht ganz sicher sind, sie erst einmal in Ruhe lassen und den Spuren alleine nachgehen? Was... was meinst du?“
Alec verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. „Gute Fragen. Sehr gute Fragen. Aber ich würde am ehesten das machen, das am meisten Spaß macht.“
Er grinste und in seinen Augen glitzerte diese Abenteuerlust und Waghalsigkeit, die erst einmal entfacht werden musste, aber die Carina schon sehr gut von ihrem Freund kannte.
„Weshalb ich dich überhaupt frage!“. Carina stieß Alec in die Rippen und lachte, während Alec schmerzhaft das Gesicht verzog und nach Atem rang. „Okay, wir behalten es erstmal für uns. Also eigentlich besteht nur noch die Frage, wann es los geht. Vorschläge?“
Alec keuchte nur und blickte Carina an. Ihre Blicke trafen sich für eine ganze Weile und endlich gab Alec sein Getue auf. Er sah Carina noch einmal vorwurfsvoll an, gab aber auch diesen Blick bald wieder auf.
„Ja, ich hätte einen“, sagte er. „Ein kleiner Abendspaziergang nach dem Essen, was meinst du?“
„Weshalb ich dich überhaupt frage“, wiederholte Carina und lachte wieder. Sie hatte insgeheim gehofft, Alec würde sie in ihrer Euphorie etwas bremsen, doch nun war auch er nicht mehr zu stoppen. Sie würden also einfach nach dem Abendessen nach draußen verschwinden und dann schauen, wohin sie die Reise führte.
„In Ordnung“, sagte Brian, als er sein Gespräch mit Steve beendet hatte und sich wieder zu ihnen setzte. „Also...?“
„Wir wollen nach dem Abendessen einen kleinen Abstecher in den Harz machen“, sagte Carina mit gesenkter Stimme und tauschte einen Blick mit Alec aus. „Aber – weißt du, eventuell wäre es besser, wenn ich und Alec, du weißt schon, alleine gehen würden.“
Alec konnte ein selbstzufriedenes Grinsen nicht verkneifen, während Brian sie entsetzt ansah. „Warum? Ich will nicht egoistisch klingen, aber es geht hier ja hauptsächlich um mich! Ich wurde mit diesen Ohrringen übers Ohr gehauen und ich möchte herausfinden, wer mir das angehängt hat! Ich möchte auf jeden Fall mitkommen!“
„Brian, mein Freund“, sagte Alec gedehnt. „Carina und ich können niemanden gebrauchen, der noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht – es wird wohl sehr verdächtig rüberkommen, wenn wir zu dritt einen Abendspaziergang machen, oder? Wir zwei ziehen einfach unser Ding durch“, er legte einen Arm um Carina, welche mit den Augen rollte, „und die Sache läuft! Sicher verstehst du das.“
Brian verschränkte die Arme, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Hey, mir fällt gerade ein, dass ihr mich sogar mitnehmen müsst, wenn ihr nicht kriminell werden und in das Archiv einbrechen wollt! Ich war zwar noch nie dort, aber vor einigen Monaten sind ein paar Leute vom deutschen Zaubereiministerium für ein paar Tage hier her gekommen, um unsere Arbeit zu inspizieren. Ich habe mich mit ihnen sehr gut unterhalten und einer von ihnen hat, soweit ich weiß, in der Verwaltung des Archivs gearbeitet. Ich habe dort also gute Kontakte, meine Lieben, die ich sicher nutzen könnte, um uns legal hinein zu bringen – denn man kann nicht einfach so in das Archiv eines Ministeriums spazieren. Was meint ihr?“
Carina biss sich auf die Unterlippe. Dass sich ein Außenstehender an ihrer „Mission“ beteiligte, war eigentlich nicht geplant gewesen – aber er hatte einen Punkt. Wahrscheinlich war es vorteilhafter, ihn mitzunehmen... und außerdem war es nur gerecht, da schließlich er, Brian, mit einem Verwirrungszauber belegt worden war.
„Okay“, seufzte sie. „Dann gehen wir zu dritt.“
Wenig später war das Abendessen fertig. Martha hatte sich mal wieder selbst übertroffen und trotz der Fehler, die sie laut Karl begangen hatte, waren die Auberginen vorzüglich. Trotzdem konnte Carina keinen Bissen genießen, da sie die ganze Zeit an den bevorstehenden Ausflug und all die Dinge denken musste, die schiefgehen könnten.
Nach dem Essen warteten sie einen Augenblick, bis die meisten den Saal verlassen hatten, um sich auf den Weg auf ihre Zimmer zu machen.
„Hey, Cari, Lust auf einen romantischen Spaziergang in der Abendsonne?“, sagte Alec schließlich. „Mit Brian? Der natürlich mitkommen kann, weil das ja vollkommen normal ist.“
Er warf Theo, die sich am Tisch noch mit ein paar Arbeitern unterhielt, einen Blick zu, und fügte etwas lauter hinzu: „Ja, dieser Spaziergang wird wahrscheinlich etwas länger dauern – die Wetterbedingungen sind ideal, findet ihr nicht?“
Carina schnaubte, als sie sich auf den Weg nach draußen machten.
„Das hältst du für unauffällig? Du kannst echt toll schauspielern.“
Als Brian die Tür aufstieß und ihnen die kühle Abendluft entgegen schlug, begann Carinas Herz auf einmal sehr viel schneller zu schlagen.
Sie schlenderten betont gemütlich über die Wiese auf den Wald zu. Ihr Ziel war der Baum, der drei Bäume neben dem mit der Tür zum Portschlüssellandeplatz stand. Dieser enthielt ebenfalls eine Tür, welche in einen Raum mit zwei Kaminen führte. Sie würden aber nicht direkt hingehen, sondern zunächst 5 Minuten eine Runde durch den Wald spazieren und dann von hinten heran kommen. So würden sie zumindest etwas weniger auffallen, falls sie jemand beobachten sollte.
Nach der Runde, die sie schweigend vor Aufregung gingen, kamen sie an ihr Ziel. Leise öffnete Brian die Tür und sie huschten nacheinander in den Raum. Er war ähnlich wie der in Johanngeorgenstadt aufgebaut, wenn auch wesentlich kleiner. Links und rechts waren je ein Kamin in die steinerne Wand eingelassen, daneben befand sich je ein Halter mit einem Becher Flohpulver.
„Okay“, sagte Carina und drehte sich zu den beiden anderen um. „Brian, du weißt, wo wir hin müssen?“
„Ja klar“, meinte Brain, griff in den Becher und stieg in den Kamin. „Zaubereiministerium“ rief er laut und deutlich, und schon umzüngelnden ihn grüne Flammen, bis er vollkommen verschwunden war und nichts als kalten Stein zurückließ.
„Okay, wer geht als nächstes?“, fragte Carina und sah Alec an.
„Ladies first!“, sagte Alec grinsend und wies ihr den Weg.
„Weißt du, Alec, ich glaube, du solltest gehen“, sagte Carina lächelnd. „Wo ihr beide euch doch so gut versteht, wollt ihr doch bestimmt mal 'ne halbe Minute miteinander quatschen, oder?“
„Bitte nicht!“ Alec verzog das Gesicht. „Nein, das kannst du mir nicht antun.“
„Okay, dann quatsche ich eben 'ne halbe Minute mit ihm“, sagte Carina sanft und griff nach dem Becher.
„Okay, okay, ich hab's mir anders überlegt“, sagte Alec und schnappte ihr den Becher weg. „Vielleicht ist ein Gespräch unter Männern ja auch mal ganz reizvoll.“ Er zwinkerte ihr zu.
„Aber bitte bleibt friedlich, bis ich da bin“, lachte Carina und machte den Weg frei. „Ein freundschaftliches Gespräch unter Männern fände ich gut.“
„Ja ja, ich hab ja verstanden“, sagte Alec und verdreht die Augen, als er an ihr vorbei in den Kamin stieg. „Ich lasse ihn auf jeden Fall leben.“ Er dreht sich um und wiederholte Brians Worte laut und deutlich. Und auch ihn umzüngelten grüne Flammen, in denen er verschwand und nichts hinterließ außer dem kalten Stein.
„Also dann“, sagte Carina und griff nun auch in den Becher. Sie wollte gerade in den Kamin steigen, als sie einen grünlichen Schimmer auf dem Stein bemerkte. Verblüfft drehte sie sich um und sah im Kamin gegenüber grüne Flammen züngeln. Erst, als bereits ein Stiefel der angekommenen Person außerhalb des Kamins war, schaltete sich ihr Kopf ein. Wer auch immer es war, würde sie womöglich fragen, wo sie spät am Abend noch hin wollte – und Carina wusste selbst, dass ihr auf die Schnelle keine guten Lügen einfallen konnten. Deswegen sah sie sich hektisch nach einem Versteck um. Nichts außer Kaminen, Kaminen und noch mehr Kaminen...
Carina unterdrückte ein Stöhnen, schwang kurzentschlossen ihre Beine in den Kamin, in dem Alec nur wenige Augenblicke zuvor verschwunden war, hockte sich in die kalte Asche und drückte sich an die kühle Innenwand. Glücklicherweise waren die Kamine beim Zollamt wegen des häufigen Transportes von Gepäck sehr geräumig, weshalb sie genug Platz hatte. Sie hoffte inständig, dass die Dunkelheit des Kamins sie verschlucken und für vorbeigehende Leute unsichtbar machen würde, da es ganz so klang, als wäre die Person aus dem Kamin gestiegen. Es leuchtete ein weiteres Mal schwach grün auf – und Carina hörte noch ein Paar Schuhe auf dem Boden auftreten.
„Wie lange wir das wohl noch machen müssen?“, sagte eine raue Männerstimme.
„Täglich zwischen England und diesem Drecksloch hin und her gondeln und die ganze Action verpassen. Wozu soll das gut sein? Nur, weil dieser – wie hieß er noch? Anthony? – sich mal mit ihm angelegt hat und was mit diesem Orden zu tun gehabt haben soll, vermutet er hier... was? Ein ganzes Geheimversteck von Gegnern?!“
„Rede doch noch lauter!“, zischte eine zweite Männerstimme. „Wenn du ein Problem mit seinen Anweisungen hast, dann beschwere dich bei IHM – aber ich möchte dann nicht in Reichweite sein.“
„Das hättest du wohl gerne“, grunzte der erste Mann. „Ich sage ja nur, dass ich nicht dieses Zeichen auf dem Arm habe, um in Latzhosen herum zu laufen und Gepäck zu überprüfen, und du musst zugeben, dass dieser Auftrag mit dem Jungen –“

2018 01 29 08 51 30

Carina spürte ein Kitzeln in der Nase. Relativ unvermeidbar, wenn man in einem Haufen von Asche saß, die überall um einen herumschwirrte. Nein, dachte sie verzweifelt, Niesen war in diesem Augenblick ungünstig, wirklich wirklich sehr ungünstig. Sie presste sich im letzten Moment einen Ärmel auf das Gesicht – wodurch nur ein ersticktes Geräusch zu hören war. Immer noch viel zu laut.
Der Mann brach ab. „Was war das?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete der zweite Mann spitz. „Vielleicht ist ER es, um dir wegen der ganzen Kritik in den Hintern zu treten!“
„Nein, ich meine es ernst... es hat sich angehört, als wäre hier noch jemand!“
Carina konnte von ihrem Versteck aus sehen, wie ein Paar Beine, das schon bei der Tür gewesen war, ein paar Schritte zurück in den Raum machte.
„Ich bitte dich“, sagte der Zweite und klang jetzt wirklich verärgert. „Guck dich doch um – hier ist niemand! Ich werde jetzt gehen, vielleicht gibt es noch etwas zu Essen... solche Berichterstattungen machen hungrig. Bleib meinetwegen hier und erzähl den Kaminen, wie sehr du deinen Job hasst.“
Eine Tür wurde geöffnet und geschlossen, bevor der erste Mann nach kurzem Zögern seinem Kollegen folgte. Carina verharrte noch ein paar Sekunden mit klopfendem Herzen in ihrer Position, bis die Schritte der Beiden verklungen waren, dann setzte sie sich auf.
Bedeutete das, was sie gerade gehört hatte, wirklich das...was sie vermutete, dass es bedeutete?
Carina dachte fieberhaft nach. Sie war soeben sehr knapp einer brenzligen Situation entkommen und sollte eigentlich schleunigst nach Thale reisen, bevor die beiden Männer zurückkamen. Auf der anderen Seite schien es sich bei den beiden ganz offensichtlich um Todesser zu handeln, die inkognito als Arbeiter beim Zoll waren, hier in Oberwiesenthal. Sie hatte die Gesichter der beiden Männer nicht gesehen, wohl aber ihre Stimmen gehört. Mit etwas Glück könnte sie den beiden unauffällig folgen und sie erkennen. Dann könnte sie Theo und den Orden vor den beiden warnen. Sie dachte kurz an Alec und Brian, die auf der anderen Seite des Kamins auf sie warteten. Doch sie musste es riskieren, die Gelegenheit war einfach zu günstig. Leise öffnete sie die Tür und huschte in die Dämmerung hinaus.

Alec spürte das vertraute Gefühl, als ob ein riesiges Abflussrohr ihn einsaugen würde. Rasend schnell drehte er sich um sich selbst, sah Kamine an sich vorbeifliegen und erhaschte Blicke in die Wohnungen einiger Familien. Er hatte eigentlich nie Probleme damit gehabt mit Flohpulver zu reisen, anders als manch anderer Zauberer...
Mit geübten Schritt stieg er aus dem Kaminrost aus. Er fand sich in einer wunderschön gemauerten Halle wieder, die ihn ein wenig an die Eingangshalle in Hogwarts erinnerte. Links und rechts waren Kamine und Türen in die Wand eingelassen. In der Mitte stand ein riesiger Springbrunnen, ein drei Etagen umfassendes Gebilde, verziert mit Skulpturen und Symbolen. Über allem thronte ein steinerner Adler, der die Neuankömmlinge aus den Kaminen begutachtete. Er sah Alec kurz an und nickte ihm zu. Alec nickte höflich zurück und sah sich um.
Die Halle war angenehm leer. Einige Hexen und Zauberer gingen hindurch, die meisten auf dem Weg zu einem Kamin, zweifellos dem Feierabend entgegen blickend. Andere liefen noch gestresst mit Notizblöcken in der Hand von einer Tür zur nächsten, gefolgt von Aktenordnern, die einen halben Meter hinter ihnen her schwebten. Es herrschte noch einiges Treiben, aber es war keineswegs unübersichtlich um diese Zeit.
Dennoch konnte er Brian nirgendwo entdecken. 'Vermutlich organisiert er schon den Zugang zum Archiv', dachte Alec. 'Oder er ist falsch ausgestiegen, der Experte. '
Er drehte sich zum Kamin um, aus dem er gestiegen war. Carina war auch noch nicht aufgetaucht, was ihn etwas beunruhigte. Immerhin stand er nun schon fast zwei Minuten hier. Ob sie vielleicht an einem der vielen anderen Kamine rauskommen würde?
Mit plagender Ungewissheit ging er zum Springbrunnen herüber. Dort setzte sich auf den Beckenrand und wartete. Mit jeder Minute, die verstrich, wurde Alec unruhiger. Er sah sich immer wieder um, erwartend, dass eine rußverschmierte Carina in einem der Kamine ankam – oder, dass zumindest Brian auftauchte, mit seinem typischen dämlichen Grinsen und der Neuigkeit, dass sie nun Zugang zum Archiv hatten... aber nichts dergleichen passierte. Er bekam lediglich ein paar neugierige Blicke zugeworfen, von deutschen Ministeriumsarbeitern, die sich vermutlich fragten, warum ein fremder junger Mann auf dem Becken ihres Springbrunnens saß. Es war eigentlich gar nicht Carinas Art, ihn so lange warten zu lassen – und da es auch noch um eine Mission ging...
Es musste sie irgendetwas wichtiges aufgehalten haben.

Carina folgte den beiden potentiellen Todessern über die Wiese zur Haupthütte. Es war mittlerweile fast vollständig dunkel geworden, und nur die kleinen Laternen am Wegesrand warfen etwas Licht auf die Männer. Carina hoffte inständig, die beiden würden sich nicht plötzlich umdrehen und sie entdecken – aber sie waren noch so mit ihrem Streit beschäftigt, dass sie nicht bemerkten, dass ihnen eine schmale Gestalt unauffällig folgte.
Die Haupthütte kam immer näher, und schließlich erhellte das Licht, das aus den Fenstern fiel, die Umgebung ein wenig mehr. 'Gleich habe ich euch eingeholt', dachte Carina mit klopfendem Herzen. 'Gleich weiß ich, wer ihr seid, und dann –'
Aber in ihrem Eifer ging sie die letzten Schritte zu schnell – und übersah einen Stock mitten auf dem Weg. Das Geräusch des knackenden Holzes klang in der Stille viel zu laut – und die beiden Männer hatten ihr Streitgespräch zu allem Übel gerade beendet.
'Carina McMay, heute ist echt nicht dein bester Tag, oder?', dachte sie mit zusammen gebissenen Zähnen, als beide einen Blick über die Schulter warfen und der Schein des Lichtes auf ihre Gesichter fiel.
„Expelliarmus“, schrie einer der beiden Männer, noch bevor Carina irgendetwas getan hatte. Ihr Zauberstab löste sich aus ihrer Tasche und flog direkt auf den Mann zu, der ihn gekonnt auffing. Er war recht plump, mit einem schiefen Grinsen auf seinem farblosen Gesicht.
„Soso, wen haben wir denn hier?“ sagte er und ging auf Carina zu. Unwillkürlich ging sie einen Schritt zurück.
„Ich – äh – nun ich mache einen Spaziergang.“
„Tatsächlich? Und du meintest, du könntest uns einfach ein bisschen hinterherspionieren oder was?“
„Das – äh – ich hab euch nicht hinterherspioniert. Das mit dem Weg war reiner Zufall. Ich bin gerade auf dem Weg zurück zur Haupthütte.“
„Wirklich? Und was hat ein junges Mädchen wie du dort zu suchen?“
Der andere Mann trat heran. Er war sehr groß und kräftig, mit einem dünnen schwarzen Schnurrbart im Gesicht. „Hör mal Amycus, ich glaube, sie arbeitet dort.“
„'Jack', Wal, du sollst mich 'Jack' nennen“, zischte der erste Mann, allerdings nicht leise genug für Carina. Sie versuchte jetzt weiterhin die Unschuldige zu spielen.
„Ja, das stimmt. Mein Freund und ich sind gestern erst hier angekommen, heute war unser erster Arbeitstag. Ich hab gerade einen Spaziergang durch den Wald gemacht.“
„Aha, soso“, sagte Amycus, alias Jack. Er war nun nicht mehr aggressiv, aber immer noch misstrauisch. „Und wo ist dein Freund jetzt?“
„Im Zimmer, er wollte nicht mit“, log Carina. Sie hoffte, dass sie überzeugend klang, damit die zwei vielleicht nicht auf den Gedanken kamen, ihre Aussage zu überprüfen.
Doch für Wal schien die Sache damit erledigt. „Siehst du Jack, alles in bester Ordnung. Du kannst ihr ihren Zauberstab wieder geben.“
„Wie? Ach ja“, sagte Jack und gab ihn ihr zurück. „Tut mir leid, dass ich so grob zu dir war. Also dann, lass uns gehen. Komm Marc!“
Nun musste Carina das Spiel bis zum Schluss mitspielen. Zu dritt gingen sie in die Haupthütte, wo sie endlich die beiden Männer verlassen konnte. Während sie in das Esszimmer schlenderten, machte sich Carina auf den Weg zur Treppe. Dort wartete sie zwei Minuten, bis sie wieder heraus ging. Sie musste zurück zu den Kaminen, notfalls würde sie sagen, sie hätte etwas im Wald verloren. Doch es ging alles glatt und sie kam ohne Probleme durch. Ohne zu zögern griff sie eine Brise Flohpulver, stieg hinein und mit einem deutlichen „Zaubereiministerium“ verschwand sie in den hoch aufschlagenden grünen Flammen.

Das Archiv des Ministeriums[]

Wenig später stieg auch Carina aus dem Kamin des deutschen Zaubereiministeriums.
Sie entdeckte Alec, welcher nun mit verschränkten Armen und einer besorgten Miene vor den Kaminen auf und ab lief.
„Du wirst nicht glauben, was mir gerade passiert ist!“, verkündete sie aufgeregt, woraufhin Alec erschrocken herumfuhr.
„Carina! Wo, bei Merlins Bart, hast du gesteckt?!“
Schnell erzählte sie von den beiden Männern, deren Gespräch sie belauscht hatte, dass sie ihnen gefolgt war, und was sie herausgefunden hatte.
„Und du bist dir ganz sicher, dass es Todesser sind?“, fragte Alec leise, als sie geendet hatte. Carina zuckte mit den Schultern.
„Sie haben von einem 'Zeichen auf dem Arm' geredet und sehr oft 'ihn' erwähnt – wobei sie niemals seinen Namen genannt haben. Wir können uns denken, wen sie meinten, oder?
Außerdem hat sich einer von ihnen verplappert und aus Versehen den Decknamen des anderen – Jack, glaube ich – vergessen. Er hat ihn 'Amycus' genannt. Klingelt da auch bei dir was?“
Alecs Augen weiteten sich. „Amycus... Carrow? Von den Carrow–Zwillingen? Lupin hat vor einigen Tagen mal von ihnen gesprochen... unglaublich. Meine Güte, ich wäre gerne dabei gewesen!“
„Glaub mir, es war nicht toll“, schnaubte Carina. „Ich habe mich zwei Mal selbst verraten und hätte fast einen Herzinfarkt bekommen, als sie mich vor der Haupthütte entdeckt haben. Aber das gehört wohl dazu, wenn man beim Orden dabei ist.
Moment...“ Ihre Gedanken waren so mit den beiden Todessern beschäftigt gewesen, dass sie erst jetzt bemerkte, dass jemand fehlte. „Ich dachte, du wolltest ihn nicht umbringen! Wo ist Brian?“
„Leider musste ich während deiner Spionagearbeit auf seine Gesellschaft verzichten“, erklärte Alec. „Ich habe keine Ahnung, wo er ist. Vielleicht ist er beim falschen Kamin ausgestiegen oder er wollte schon das mit dem Eintritt zum Archiv organisieren.“
„Ja“, sagte Carina mit gerunzelter Stirn. „Könnte sein. Aber er benutzt doch nicht zum ersten Mal Flohpulver... auch, wenn er zuerst woanders angekommen ist, müsste er doch inzwischen hier sein, oder? Vielleicht ist er wirklich schon vorgegangen.“
„In Ordnung... dann versuchen wir jetzt, den Eingang zum Archiv zu finden?“, fragte Alec. „Dort ist er bestimmt. Mach dir keine Sorgen.“
Carina nickte und folgte ihrem Freund mit einem letzten unschlüssigen Blick in Richtung Kamine.
Sie wandten sich nach links in Richtung eines Schalters, an dem ein müder alter Zauberer saß. Mit seinem grauen Bart und seinem Zylinder auf dem Kopf erinnerte er Alec ein wenig an Dädalus Diggel, dessen Bild sie vor einigen Tagen in ihrem Schrank vorgefunden hatten. Allerdings war dieser Mann deutlich weniger exzentrisch gekleidet.
„Hallo“, sagte Alec und der Zauberer sah von seiner Zeitung zu ihm auf. „Wir möchten gern ins Archiv.“
Der Alte sah kurz auf seine Uhr. „Habt ihr einen Termin?“, gähnte er.
„Ja, es wurde uns gesagt, dass wir kommen können“, sagte Carina ohne eine Spur von Verunsicherung.
„Na dann –“, sagte der Mann, der scheinbar keine große Lust hatte, sich auf eine Diskussion einzulassen. „Also, nehmt einen der Fahrstühle bis in den vierten Stock, dort wendet ihr euch nach links. Von da aus ist es ausgeschildert. Wenn ihr euch verlaufen solltet, einfach einen der gelben Knöpfe an der Wand drücken und es kommt jemand.“
„Ah, okay. Vielen Dank.“ Carina wandte sich um und gemeinsam gingen sie zum Fahrstuhl, mit dem sie herauf fuhren. Oben angekommen gingen sie nach links den beschilderten Gang entlang.
Es stellte sich bald heraus, dass die Schilder dringend nötig waren. Der Weg führte durch mehrere Seitengänge, über Treppen und teilweise sogar durch Wände hindurch, die in Wahrheit eine magische Barriere waren, von den echten Wänden optisch aber nicht zu unterscheiden waren. Nach zwei Minuten Fußweg hatten Alec und Carina völlig die Orientierung verloren. Sie wussten vor lauter zickzack und auf und ab nicht mehr, in welche Richtung sie eigentlich liefen. Nur die Schilder wiesen ihnen den Weg. Eine Minute später erreichten sie endlich den Eingang ins Archiv. Rechts befand sich eine kleine Tür mit der Aufschrift „Verwaltung“, doch zunächst blieb ihr Blick an der massiven verschlossenen Holztür vor ihnen hängen.

Stadtwappen Thale

Ein Wappen war über dem Tor angebracht: Ein blauer, gezinnter Turm mit rotem Spitzdach und offenem Tor. Über dem Tor war ein silbernes Schild, auf dem eine rote auf einem Besen reitende Hexe zu sehen war.
„Das Stadtwappen von Thale“, sagte eine tiefe Stimme hinter ihnen.
Carina und Alec wirbelten herum. Hinter ihnen stand ein junger Mann, etwa so alt wie Brian, aber mit einer Stimme, die man ihm beim bloßen Hinsehen niemals zugetraut hätte. Er lächelte sie freundlich an.
„Ja, wir haben hier das selbe Wappen wie die Muggel hängen. Der Turm stellt die Burg Thale dar, die 1365 zerstört wurde. Und die Hexe weißt auf den Hexentanzplatz hin. Eine super Sache, dass sie den Kult heute noch so feiern, dadurch fallen wir hier nicht so auf.“
Das Lächeln verschwand langsam. „Wie ich höre, habt ihr hier angeblich einen Termin, sodass der alte Meier unten euch die Beschilderung aktiviert hat. Aber mein Kalender weiß davon nichts.“ Er zog ein kleines Buch heraus und wies mit dem Zauberstab auf eine Seite, auf der die Aufschrift 'Heute keine Termine' erschien. „Also, wie habt ihr euch das hier vorgestellt?“
Alec sah Carina mit hochgezogenen Augenbrauen an. Scheinbar war Brian auch hier noch nicht aufgetaucht.
Carinas Magen schien sich zusammen zu ziehen. Wo steckte Brian nur?! Und nun musste sie sich schon wieder unter Druck eine gute Ausrede fallen lassen – dieser Ausflug lief bisher gar nicht gut.
Aber Alec kam ihr zuvor. Er beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „In Ordnung, Sie haben Recht, wir haben keinen Termin. Mein Name ist... Andrew...
Anderson, und dies ist meine Kollegin... Angie Hart. Wir kommen von einer geheimen Untersektion eines Grenzüberganges hier in der Nähe und haben die Erlaubnis, das Archiv nach Informationen zu durchsuchen, die unseren Fall betreffen – natürlich ist das alles inoffiziell vom Ministerium abgesegnet. Nur die Wenigsten haben von dieser Durchsuchung erfahren, deswegen wissen weder Sie noch der freundliche Mann dort unten Bescheid. Ich würde Ihnen raten, uns unsere Arbeit tun zu lassen und schleunigst zu vergessen, dass dies hier jemals geschehen ist.“
Der junge Mann zog die Augenbrauen hoch und überlegte offensichtlich, ob Alec ein Verrückter, ein Betrüger oder tatsächlich der Agent einer geheimen Untersektion war.
„Was für ein Fall ist das denn?“, fragte er mit gerunzelter Stirn und steckte langsam seinen Terminkalender weg.
„Oh, das darf ich Ihnen natürlich nicht verraten. Aber da sie ein kluger Mann zu sein scheinen, sage ich nur: Verbotene Waren aus dem Ausland. Gefährliche Sache. Wenn sie uns nun hineinlassen würden? Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.“
Der Mann zögerte noch einen Moment, dann nickte er und holte einen speziellen Schlüssel aus der Jackentasche, der die Sicherheitsschlösser der massiven Tür öffnen würde.
„Nun, wenn sie denken, dass sie in unserem Archiv neue Spuren finden...“
„Haben Sie vielen Dank! Ach ja, Sie werden unsere Namen vermutlich nirgends aufgezeichnet finden – sie wissen schon. Geheime Sektion, geheime Mitarbeiter.“
„Ich verstehe“, sagte der Mann, obwohl immer noch leichte Zweifel in seinen Augen zu sehen waren.
„Ähm, ich hätte noch eine Frage“, sagte Carina. „Wir haben einen weiteren Kollegen, aber wir haben ihn irgendwie aus den Augen verloren. Er ist ungefähr so alt wie Sie, größer als ich, hat dunkelblonde Haare –“
„– Grinst meistens dämlich –“, ergänzte Alec.
„– Haben Sie ihn vielleicht irgendwo gesehen?“
Der Mann überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, tut mir leid.“
„Trotzdem danke“, seufzte Carina.
Er stieß die massive Holztür des Archivs auf und murmelte etwas, woraufhin der Raum in Licht getaucht wurde. Carina hatte gedacht, sie würde niemals einen Saal sehen, der der großen Halle auf Hogwarts Konkurrenz machte – aber dieser Raum tat es auf jeden Fall. Hunderte Regale, die bis zur Decke reichten und in denen sich Papierstapel, Kisten, Bücher und Aktenordner stapelten.
„Dann werde ich Sie mal bei Ihrer unglaublich geheimen Arbeit alleine lassen“, sagte der Mann mit einem gezwungenen Lächeln.
„Ja, danke nochmal“, erwiderte Alec.
„Bereit, Angie?“
Carina verdrehte die Augen.
„Bereit, 'Andrew'.“
Sie begannen die Regalreihen abzugehen. Glücklicherweise waren die Akten absteigend nach Datum sortiert. Ungefähr eine Woche mit allen möglichen Zeitungen aus aller Herren Länder füllten ein gesamtes Regal. Selbst einige Muggelzeitungen und Akten der Muggelpolizei konnte Alec erkennen. Aber auch Fälle aus der Abteilung für magische Strafverfolgung und anderen Abteilungen waren hier zu finden. Nicht nur aus Deutschland, teilweise auch aus Italien, Spanien, Großbritannien oder Polen.
„Wann war der Raub noch mal genau gewesen?“, fragte Alec unsicher.
„Vor ungefähr einem halben Jahr“, meinte Carina. „Wir müssen halt etwas suchen.“
Sie gingen etwas schneller voran, bis etwa zur zwanzigsten Reihe. Dann suchten sie etwas genauer, was sich bald als ziemlich zermürbend erwies.
„Hier, ich hab's!“, rief Alec nach gut einer viertel Stunde. Er wies auf eine Kiste etwa drei Meter über ihnen, auf der klar erkennbar das Wort „Isgandol“ stand. Daneben befanden sich noch gut zehn weitere Kisten mit derselben Aufschrift.
Carina zog ihren Zauberstab und wies auf die erste Kiste. „Wingardium Leviosa“, rief sie und langsam schwebte sie herunter und landete sanft vor ihnen auf dem Boden.
Alec und Carina öffneten mit klopfenden Herzen die Kiste. Vielleicht würden sie jetzt endlich Antworten finden!
Zum Vorschein kam... eine Menge Papierkram. Dokumente, Aufzeichnungen, Berichte, Protokolle – und sogar ein paar schwarzweiß Fotos, auf denen Kobolde missmutig in die Kamera starrten oder sich mit schwingenden Waffen mit Zauberern duellierten.
„Guck mal, der hier sieht ein bisschen aus wie Egrig, findest du nicht?“, sagte Alec grinsend.
„Ja, vielleicht ein Vorfahre oder ein entfernter Verwandter. Okay... ich würde vorschlagen, du fängst mit diesem Stapel an und ich mit diesem... und wenn wir irgendetwas über den Raub finden, sagen wir Bescheid.“
„Zum Befehl, Ma'am“, erwiderte Alec.
Schon bald stellte sich heraus, dass es sich hauptsächlich um die historischen Hintergründe und längst vergangene Geschehnisse Isgandols handelte.
Carina seufzte. „Das Aktuellste, das ich gefunden habe, ist von 1955. Anscheinend war Isgandol der Wohnort vieler Revolutionäre der Kultur der Kobolde und es gab dort früher eine Goldader. Interessant, aber das hilft uns nicht weiter!“
„Aber Carina, warum denn so bildungsresistent? Ich persönlich wollte schon immer wissen, wie in Isgandol der Streit zwischen den Brüdern Gagnaff und Dognuk ausgebrochen ist.“
Carina rollte mit den Augen. „Na los, die nächste Kiste!“
Doch auch bei den nächsten Kisten hatten sie kein Glück. Carinas Sorge, dass sie völlig umsonst hergekommen waren, wuchs mit jedem Dokument. Außerdem war Brian immer noch hinter keinem Regal hervor gesprungen und hatte erzählt, dass es nur ein dummer Spaß gewesen sei, dass er von einem alten Bekannten aufgehalten worden war oder sich einfach verlaufen hätte. Sie waren schon bei der letzten Kiste, als Alec plötzlich triumphierend mit einer Mappe in der Luft herum wedelte.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt, meine Liebe. 'Der Raub von Isgandol am 15.10.1995: Der aufsehenerregende Diebstahl des Schmuckes des berühmten Urg'.“ Er überflog ein paar Zeilen, dann räusperte er sich.
„ 'Der Raub muss sich in einem Zeitraum von 23 Uhr abends bis 6 Uhr morgens ereignet haben, da Urg der Unsaubere höchst persönlich seinen Schmuck am Abend zuvor einschließen und am frühen Morgen wieder heraus holen ließ.' Blablabla... Ah ja. 'Obwohl es einen Augenzeugen gab, welcher einen Blick auf den Täter werfen konnte und dann mit dem Stupor-Zauber geschockt worden war, ist der Täter unbekannt geblieben...' 'Eine maskierte Person, vermutlich männlich, groß – über 1,80m – und dünn. Laut dem Augenzeugen ein 'merkwürdig steifer Gang'.“
Alec sah von dem Bericht auf. „Kann es sein, dass unser guter Freund Brian nicht nur mit einem Verwirrungszauber, sondern zuerst mit dem Imperiusfluch belegt worden ist?“
Carina blieb der Mund offen stehen. „Du – du meinst wirklich –“
„Wir können es nicht ausschließen, erst recht nicht nach dieser Personenbeschreibung!“
Carina war sprachlos. Eigentlich war sie in der Annahme ins Archiv gekommen, dass ihre Recherchen den Verdacht von Brian ablenken würden. Doch nun standen die Zeichen darauf, dass jemand in Brians Umfeld mehr als einmal die Kontrolle über sein Handeln gewonnen hatte. Es sei denn – wenn Brian selbst es war... Sie schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Es musste der Imperiusfluch sein, der Brian auferlegt worden war.
„Komm Alec, lass uns diese Dokumente kopieren.“
„Sehr wohl, gnädige Dame“, sagte Alec mit einer Verbeugung, doch Carina ging nicht darauf ein, sondern hing ihren eigenen Gedanken nach.
Mit einer rhythmisch wiederholten kreisförmigen Bewegung ihrer Zauberstäbe stapelten sie abwechselnd die Dokumente übereinander und ließen neue, originalgetreue Kopien aus den Stapeln erscheinen, die sich wiederum fein säuberlich auf dem Boden vor ihnen stapelten.
Als sie damit fertig waren und gerade die Originaldokumente zusammenpacken wollten, hörten sie plötzlich Stimmen draußen vor der Tür.
„Entschuldigen Sie, Sir, haben sie einen Termin?“
„Ich – nein, das habe ich nicht. Würden Sie mich bitte reinlassen?“
Das war Brian! Carina überkam ein Gefühl der Erleichterung, dass er es doch geschafft hatte sie zu finden.
„Tut mir leid, ohne Termin können sie hier nicht rein. Erst recht nicht mit Ihrem Besen!“
„Aber die beiden anderen haben Sie auch reingelassen!“
„Woher wissen Sie –“
Dann ging alles sehr schnell. Voller Entsetzen hörte Carina, wie Brian „Stupor“ rief und ein Körper hart auf dem Boden aufschlug. Gleich danach explodierte die massive Holztür und Splitter flogen durch die Reihen des Archivs. Alec zog Carina geistesgegenwärtig tiefer in die 34. Reihe, wo sie sich unter einem freien Regal verkrochen. Aus dem Augenwinkel sahen sie, wie Brian auf einem Besen fliegend durch die Reihen sauste. Doch er war nicht allein. Ihm folgten zwei weitere Gestalten, eine klein und plump, die andere groß und kräftig...
Sie drückten sich noch tiefer unter das Regal, während die drei Männer weiter ihre Kreise durch den riesigen Raum zogen. Wie lange würde das wohl so gehen? Ob sie irgendwann aufgeben würden?
„Hey, Brian, Walden, das bringt so nichts. Sie verstecken sich mit Sicherheit irgendwo. Wir müssen die Regale umwerfen!“
Carina sah Alec an. „Das ist Amycus“, flüsterte sie. Doch das wäre gar nicht nötig gewesen, denn plötzlich begann ein Höllenlärm am anderen Ende des Raumes auszubrechen. Krachend zerbarsten Kisten, Bilderrahmen, Regale und alles, was sich in diesem Raum befand. Dazwischen hörten sie die wütenden „Expulso“-, „Deprimo“- und „Confringo“-Schreie Brians und der beiden Todesser, die sich langsam auf sie zubewegten.
Carina übermannte die Panik. „Was machen wir nur, was machen wir nur!?“
Alec stieß ihr in die Rippen. „Der Orden! Wir müssen den Orden rufen!“
Carina erwachte wieder aus ihrem von Panik bestimmten Denken. Sie blickte zu Alec herüber, der sich bereits das Hosenbein hochzog und auf die Form eines Eichhörnchens unterhalb des Knies drückte. Das also war das Motiv, das er nicht hatte verraten wollen...
Carina zog ihren rechten Ärmel hoch, wo das Zeichen eines Schmetterlings zum Vorschein kam. Vorsichtig berührte sie die Stelle. Sie begann leicht zu kribbeln, aber darauf achtete Carina kaum, da das Poltern, Krachen und Splittern und die Stimmen der Todesser immer lauter wurden. Jetzt konnten sie nur noch hoffen, der Orden würde nicht allzu lange brauchen.
„Confringo!“, rief in diesem Moment Amycus' kalte Stimme; Holz splitterte und das hohe Regal, unter dem sie sich versteckten, kam ins Wanken. Carina und Alec rollten sich gerade rechtzeitig darunter hervor, um nicht unter Massen von Holz, Kisten und Papier begraben zu werden.
„Da sind sie!“, rief der Todesser namens Walden und zeigte mit einem dicken Finger auf die Beiden.
Er, Amycus und Brian landeten auf dem Boden – und noch bevor Alec seinen Zauberstab auf sie richten konnte, schrien Walden und Amycus „Expelliarmus!“, woraufhin sowohl sein, als auch Carinas Zauberstab durch die Luft flogen und in den Händen der Todesser landeten.
„Wow, das ist ja toll gelaufen“, murmelte Alec.
„Na, sieh mal einer an! Da ist ja unser kleines Fräulein, das vorhin schon so schlau war uns nach zu spionieren!“, lachte Amycus. „Carina McMay und Alec Moher – oder sollte ich euch lieber Angie Hart und Andrew was-auch-immer nennen?“
„Wie Sie wünschen, Jack, oder ist Ihnen 'Amycus Carrow' lieber?“, erwiderte Carina kühl. „Und was ist mit Ihrem Freund Marc – bevorzugen sie 'Walden Macnair'?“
„Anscheinend sind wir uns alle darüber im Klaren, wer die anderen sind“, sagte Brian spöttisch. „Wie schön.“
Carina musterte ihn durchdringend. Es deutete nichts darauf hin, dass er unter jeglicher Form von Fluch stand – er wirkte weder desorientiert, noch waren seine Augen glasig. Das bedeutete... das bedeutete etwas, das Carina, seitdem Brian vor wenigen Minuten „Stupor!“ gerufen hatte, am meisten befürchtet hatte. Nun, wenn sie ehrlich war, hatte sie es ab diesem Zeitpunkt gewusst –
sie hatte es nur nicht wahrhaben wollen.
„Das stimmt nicht“, sagte sie leise. „Ich habe keine Ahnung, wer DU bist – ich nehme an, für 'Brian Glinsky' gibt es auch ein Alias?“
Er lachte. Es war nicht das gutmütige Lachen, das sie von ihm kannte, sondern ein hämisches, gefühlloses Lachen.
„Ach, Carina, mein Name ist doch unwichtig. Ich muss schon sagen, ich habe meine Rolle gut gespielt. 'Das ist doch... du meinst doch nicht ernsthaft... du glaubst, jemand hat mich mit einem Verwirrungszauber belegt?!'“
Er lachte wieder, und Amycus und Wal stimmten in das Lachen ein.
„Es hat schon Spaß gemacht, den freundlichen Trottel zu spielen. Und wie ihr darauf angesprungen seid! 'Hör zu, Brian, ich kann verstehen, dass man gerne Erbstücke aus der Familie trägt, um ihre Erinnerung lebendig zu halten!'“, äffte er Carina nach. „'Hör zu, Brian, gegen so einen Verwirrungszauber ist jeder machtlos! Du kannst nichts dafür!' So rührend! Ich konnte nicht fassen, wie naiv und leichtgläubig man sein kann.“

2018 01 29 08 50 30

Carina blinzelte heftig ein paar Tränen aus den Augen. Sie fühlte sich dumm, so unendlich dumm, wie hatte sie darauf hinein fallen können?
„Alec dagegen konnte mich nicht ausstehen –“
„Oh, das ist wahr“, knurrte Alec.
„– aber sicher nicht aus Misstrauen, sondern aus Eifersucht. Niemand hat mich auch nur im Entferntesten verdächtigt. Steve nicht, mein närrischer alter Kollege, und Theo nicht – alle haben sie mit mir über die 'grausamen Taten der Todesser' und den 'armen, herzensguten, lang vermissten Vater' gejammert. Ich konnte mein Lachen bei dem Gedanken an den alten Anthony Chappel, den ich selbst aus dem Weg geschafft hatte, nur schwer unterdrücken, ehrlich.“
„Du hast also Theos Vater deinem Meister überliefert“, stellte Carina bitter fest. „Du und deine beiden Kollegen habt euch beim Zollamt einschleusen lassen, ihr habt lauter kleine Unruhen bei den Kobolden gestiftet – aufgrund welcher wir, ich und Alec, zu euch geschickt worden sind – um die Kobolde gegen uns aufzubringen. Dann wolltest du etwas Größeres bewirken und hast erfolgreich die Ohrringe von Urg gestohlen – um sie zum richtigen Zeitpunkt absichtlich zu tragen und die Kobolde darauf aufmerksam zu machen.
Da wir unpassenderweise im Weg waren, wolltest du uns die ganze Zeit auf die falsche Fährte locken – und wolltest heute unbedingt mit ins Archiv kommen, um zu verhindern, dass wir etwas rausfinden – und, wie es aussieht, um deine Freunde zusammen zu pfeifen und uns zu erledigen.“
„Wisst ihr, das wäre tatsächlich das Einfachste“, sagte Brian und sah sie beide abschätzend an. „Doch eine Sache wäre noch zu klären.“ Jetzt blickte er direkt in Carinas Augen. „Du sagtest, ihr wurdet geschickt.“
Carina spürte, wie ihr die Hitze weiter ins Gesicht stieg. Die Todesser hatten bis eben nicht gewusst, dass sie beide nicht einfach nur „die Neuen“ waren. Jetzt hatte sie sich verraten. Sie hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Sie wusste genau, worauf das nun hinauslief.
„Wer war es? Wer hat euch geschickt?“
Sie schluckte. Drohend hob Macnair seinen Zauberstab in ihre Richtung, doch sie Alec ergriff ihre Hand und schüttelte mit dem Kopf.
Brian sah sie interessiert an. „Nein? Ihr wollt es nicht verraten? Das ist aber schade!“ Nun nickte er Macnair zu.
„Crucio!“
Kaum hatte die unbarmherzige Stimme gesprochen, traf Carina ein unglaublicher Schmerz in jeden Bereich ihres Körpers. Sofort ging sie zu Boden und schrie, überwältigt von der unmittelbaren Qual. Doch bereits nach wenigen Sekunden ließ der Schmerz wieder nach. Sie blickte auf und sah, wie Alec mit Macnair am Boden rang. Offenbar hatte er sich sofort, nachdem der Fluch gesprochen wurde, auf ihn gestürzt und den Zauberstab aus der Hand geschlagen. Carrow und Brian standen verdutzt daneben, während Alec gerade wütend in Macnairs Gesicht schlug, welcher ihm nun wiederum ein Büschel Haare vom Kopf riss. Schreiend vor Schmerz ließ Alec nach und Macnair entwand sich seinem Griff, sodass Brian und Amycus freie Schussbahn hatten.
„Incarcerus“, riefen beide gleichzeitig und feste Seile entsprangen ihren Zauberstäben, die sich sofort um Alec legten und ihn fesselten.
„Wingardium Leviosa“, rief Brian und Alec schwebte nun aufrecht vor ihnen, einige Zentimeter über dem Boden.
Er sah fürchterlich aus. Teile der Kopfhaut waren abgerissen wurden und Blut lief an allen Seiten des Kopfes herunter. Tränen liefen ihm übers Gesicht, doch er gab keinen Laut von sich, sondern blickte die drei nur hasserfüllt an.
Auch Macnair rappelte sich hoch. Seine Nase blutete heftig und stand schief, außerdem bildete sich eine große Beule über seiner Augenbraue. Auch er blickte voller Wut zu Alec auf, doch offenbar wagte er es nicht, ohne den Befehl Brians etwas zu tun.
Dieser wendete sich nun wieder an Carina. „Also gut, durch dieses kleine Scharmützel hast du soeben nur einen kleinen Vorgeschmack von dem bekommen können, was dich erwartet, wenn ihr weiter schweigt. Aber ich sage dir, beim nächsten Mal wird dir keiner helfen können. Und wenn ich mir Walden so anschaue“ – er sah Macnair an, dem der Hass ins Gesicht geschrieben stand – „wird es auch heftiger werden.
Also. Wer hat euch geschickt? Wer weiß von unserem Treiben bei den Kobolden?“
Carina versuchte, tief durchzuatmen und einen klaren Kopf zu bekommen, aber sie war so erfüllt von Angst um Alec, Enttäuschung und Hass auf Brian, und Wut auf sich selbst, dass sie kaum einen richtigen Gedanken fassen konnte.
Auf einmal erschien das Bild von ihrem Großvater in ihrem Kopf. Was hätte er in dieser Situation getan? Er hätte den Todessern um nichts in der Welt etwas vom Orden erzählt, dessen war sich Carina sicher. Also blieb nur noch... lügen und Zeit schinden!
„Okay“, sagte Carina mit zitternder Stimme. „Ihr habt Recht, wir haben nicht zufällig angefangen, beim Zollamt zu arbeiten. Ich... ich werde euch sagen, wer uns geschickt hat.“
„Carina, nein!“, schrie Alec und wehrte sich mit Leibeskräften gegen die Seile.
„Halt die Klappe“, grunzte Macnair. „Sprich weiter, Mädchen!“
„Alec – ich muss es ihnen sagen. Ich möchte nicht, dass sie dich weiter foltern!“, sagte Carina in gespielter Verzweiflung und warf unauffällig einen Blick in Richtung Tür.
Wo blieb nur der Orden?
„Das ist eine kluge Entscheidung!“, sagte Brian ungeduldig. „Also?!“
„Na schön“, seufzte Carina, „wir – wir wurden von einer Abteilung des Zaubereiministeriums geschickt!“
Alec vergaß für einen Moment, zu versuchen, sich aus den Seilen zu zwängen – verstand es aber zum Glück in wenigen Sekunden. „Nein! Carina!“, rief er verzweifelt. „Warum hast du ihnen von dieser geheimen Abteilung erzählt?“
„Sie spezialisiert sich auf das Geheimhaltungsabkommen“, erklärte Carina mit Tränen in den Augen.
„Wenn es zu viele Unruhen bei den Kobolden gibt, werden die Muggel darauf aufmerksam, versteht ihr? Deswegen wurden wir zu euch geschickt – um nach dem Rechten zu sehen und diese Aufstände zu unterbinden! Wir konnten ja nicht ahnen, dass wir so schrecklichen, schrecklichen Leuten wie euch in die Arme laufen würden!“
Sie wusste nicht, ob sie überzeugend klang, aber die drei Todesser wirkten ein wenig verunsichert.
„Das heißt – ihr seid nicht – ihr wusstet nicht, dass der dunkle Lord –“, sagte Brian mit gerunzelter Stirn.
„Bei Merlins Bart!“, unterbrach in Carina mit aufgerissenen Augen. „Wir sind doch auch erst seit ein paar Jahren keine Schüler mehr! Zugegeben, ich und Alec wollten ein wenig Detektiv spielen – aber“, sie schluckte, „an Ihr-Wisst-Schon-Wen haben wir wirklich nicht gedacht!“
„Nun“, sagte Brian, knipste sein kaltes Grinsen wieder an und ging mit erhobenem Zauberstab langsam auf sie zu, „vielleicht werden wir diese Geschichte später überprüfen. Wie dem auch sei – ihr zwei wart mir die letzten Tage ein ewiger Dorn im Auge und jetzt–“
„Stupor!“
Es gab einen lauten, dumpfen Aufprall, als der plumpe Körper von Walden Macnair zu Boden fiel. Der Ursacher für diese Aktion war niemand anderes als MadEye Moody; neben ihm standen Lupin, Kingsley, Tonks und viele weitere bekannte Gesichter.
Carina war noch nie so froh gewesen, jeden einzelnen von ihnen mit gezücktem Zauberstab zu sehen.
Blitzschnell drehte Brian sich um. „Stupor!“, rief er und zielte auf MadEye, der dem Fluch jedoch gekonnt auswich und postwendend einen Fluch zurück schickte. Doch Brian erwies sich als unglaublich zäh und schaffte es, alle Flüche von Moody, Kingsley und Arthur Weasley ohne größere Probleme abzuwehren.
Amycus Carrow kämpfte währenddessen mit Lupin, Sirius und Tonks.
„Carina, Alec, hier rüber!“, rief Tonks ihnen zu, während sie einen Flederwichtfluch auf Carrow abfeuerte, dem er nicht mehr ausweichen konnte. Sofort sah er sich einer Horde biestiger, fledermausartiger Kreaturen ausgesetzt, wodurch er weiter abgelenkt und zu Fall gebracht wurde.
Carina hatte sich unterdessen aufgerappelt und versuchte nun Alec, der zu Boden gestürzt war, von seinen Fesseln zu befreien. Doch Brian nutzte eine kleine Feuerpause der Ordensmitglieder flink aus.
„Petrificus Totalus!“, schrie er und richtete seinen Zauberstab auf Carina.
Sie fühlte sich, als würde sie zu Eis gefrieren. Zwar wurde ihr nicht kalt, doch sie konnte sich keinen Millimeter mehr bewegen. Hoffnungslos kippte sie zur Seite weg, schmerzhaft aufs Ohr, doch ihr Schrei blieb ihr in der Lunge stecken. Sie hörte raschelnde Bewegungen um sie herum, Rufe der Anderen und endlich sagte jemand „Finite Incantetem“.
Sofort löste sich der Eisblock um sie herum, ihre Muskeln ließen wieder Bewegungen zu. Sie richtete sich auf und sah sich um.
Rechts von ihr standen die Leute vom Orden: Moody, Tonks, Lupin, Sirius, Kingsley und Arthur Weasley. Amycus Carrow stand ebenfalls bei ihnen, gefesselt. Macnair lag noch immer am Boden einige Meter entfernt, aber auch gefesselt.
Dann sah sie nach links und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Da stand Brian, den Zauberstab in der Hand, und vor ihm Alec in seiner Gewalt, mit Blick zum Orden.
„Zauberstäbe weg! Oder euer Freund hier stirbt!“
Die Ordensmitglieder warfen sich unschlüssige Blicke zu. Es war klar, dass sie ihre Zauberstäbe auf keinen Fall wegwerfen durften, aber es bestand kein Zweifel: Brian würde selbst die kleinste Bewegung registrieren und Alec auf der Stelle töten.
Ihm stand der Hass und Irrsinn ins Gesicht geschrieben und Carina fragte sich, wo sie dort jemals gutmütige Gesichtszüge hatte entdecken können.
„Wird's bald?“, rief er und hielt seinen Zauberstab an Alecs Schläfe. „Zauberstäbe weg! Oder muss ich erst bis drei zählen?“
Carina sah sich panisch um. Irgendetwas! Etwas, um ihn abzulenken, etwas, um es diesem Todesser und Verräter an den Kopf zu werfen – nur IRGENDETWAS!
Er lachte erbarmungslos. „Na schön, wie ihr wollt! Eins–“
Ein längliches Stück Holz. Einige Meter von Carina entfernt. Sie erinnerte sich daran, wie Macnair und Carrow sie und Alec sofort entwaffnet hatten. Nun, jetzt war sowohl der eine als auch der andere Todesser außer Gefecht gesetzt. Konnte es sein... dass das Glück nach all den Fehlschlägen dieser Mission doch noch einmal auf ihrer Seite war? Dass dort hinten einer ihrer Zauberstäbe lag? Dass entweder Carrow oder Macnair ihn fallen gelassen hatte?
„– Zwei! –“
Sie hatte keine Wahl. Ohne weiter darüber nachzudenken und ohne auf die stechende Angst zu achten, die sie erfüllte und ihr Gehirn vernebelte, begann sie, auf allen Vieren auf den Zauberstab zuzurobben. Wie konnten ein paar Meter nur so lang sein?
„...Drei!“
Im Geiste sah sie schon einen gleißend hellen, grünen Lichtstrahl und hörte Alecs letzten Schrei, während plötzlich alles in Zeitlupe zu geschehen schien.
Carina warf sich mit dem ganzen Körper nach vorne, streckte den Arm aus – und bekam den Stab zu fassen.
Sie wusste nicht, ob er ihr, Alec oder sonst jemandem gehörte; sie wusste nicht, ob die Mitglieder des Ordens sich ergeben hatten – oder ob alles schon zu spät war.
Sie wusste nur, dass Brian Glinsky nun mit dem Rücken zu ihr stand.
Und sie hörte ihren eigenen Schrei, nach welchem der Todesser, von ihrem Schockzauber getroffen, schließlich hinten überkippte.
Mit einem dumpfen Schlag schlugen die Körper von Brian und Alec auf dem Boden auf, wo sie beide liegen blieben. Carinas Herz hörte auf zu schlagen. Sie war zu spät gekommen – Brian hatte bereits bis drei gezählt. Urplötzlich kam ihr die Erkenntnis, dass Alec wohl nie wieder aufstehen würde. Sie stieß einen Schrei der Verzweiflung aus und vor Erschöpfung ließ sie sich weiter zu Boden sinken und vergrub ihr weinendes Gesicht in ihrem Arm. Wie konnte das nur passieren? Wie konnte es sein, dass Alec hier seinen letzten Atemzug tat? Und alles wegen ihr, es war alles ihre Schuld...
Jemand packte sie an der Schulter. „Carina, hey Carina! Komm schon!“ Es war Tonks, doch Carina wollte nicht zu ihr aufsehen, wollte nicht ihr schuldiges Antlitz ins Licht der Welt halten, wollte nur noch sterben –
„Komm schon, Kleines!“, knurrte nun die Stimme Moodys und gegen ihren Willen wurde sie auf die Füße gezogen. Sie wankte, nur verschwommen nahm sie ihre Umgebung wahr, erkannte, wie die anderen den Leichnam Alecs von Brians geschocktem Körper zogen und mit ihren Zauberstäben leise Formeln murmelten. Doch Carina wusste, dass es keinen Sinn hatte, denn kein Zauber kann die Toten zum Leben erwecken...
Doch plötzlich geschah es, das, was sie sich so erhofft, doch nicht zu denken gewagt hatte. Der Oberkörper Alecs erhob sich. Wie durch einen Schleier sah sie, wie Lupin ihm einen Turban an den Kopf zauberte, um die Blutung zu stoppen, und Alec langsam aufstand, ebenso wankend wie Carina, aber ebenso aufrecht. Benommen sah er sich um, erblickte Carina und ein schelmisches Grinsen umspielte seine Lippen. Stolpernd ging er auf sie zu, und sie ging auf ihn zu, und dann fielen sie sich in die Arme.
Und dort, im Archiv des deutschen Zaubereiministeriums, irgendwo zwischen den Trümmern unzähliger Regale und Dokumente aus alter Zeit, küssten sie sich.

Abschied vom Zollamt[]

Im Nachhinein stellte Carina fest, dass sie sich nur noch verschwommen daran erinnern konnte, was alles als Nächstes geschah. Durch das langsam aus ihr heraus sickernde Adrenalin, den kürzlich überwundenen Schock, die Wut, Angst, Trauer und letztendliche Welle der Erleichterung der letzten Minuten fühlte sie sich matt und wacklig und nickte nur resigniert bei allem, was Lupin und Moody ihr sagten, während sie das Archiv verließen.
Sie schnappte auf, dass Kingsley und Tonks sich um die drei Todesser kümmern und sie so bald wie möglich nach Askaban bringen würden; sie hörte außerdem etwas davon, dass man ihnen Veritaserum einflößen wollte, um den Aufenthaltsort und Zustand Anthony Chappels und Weiteres herauszufinden. Arthur sollte währenddessen den Arbeitern des deutschen Zaubereiministeriums, soweit es ging, den angerichteten Schaden im Archiv erklären.
Was Alec anging, so ging es ihm nicht besser als Carina – eher im Gegenteil. Er versicherte ihr zwar mehrmals, dass alles okay sei, aber er war von Blut, Kratzern und blauen Flecken übersäht und stützte sich beim Laufen auf sie und Sirius.
„Wo gehen wir hin?“, murmelte Carina, als sie in die große Eingangshalle mit den Kaminen und dem Springbrunnen traten. Inzwischen war die Halle fast menschenleer; nur eine Gruppe von jungen Arbeiterinnen auf dem Weg in den Feierabend warf ihnen einen erstaunten Blick zu.
„Hauptquartier“, brummte Moody. „Wir können euer Zeug morgen holen. Die würden dort große Augen machen, wenn sie Alec so sehen würden – ihr braucht Verarztung. Außerdem müsst ihr uns, so scheint es mir, noch eine Menge erzählen.“
Carina nickte, aber in ihrer Benommenheit schlich sich langsam das schlechte Gewissen ein. Richtig, sie hatten einerseits dem Orden nicht erzählt, dass sie an diesem Abend hier sein würden, und sie hatten den Bösewicht nicht erkannt, obwohl er die ganze Zeit vor ihrer Nase gewesen war. Was hatten sie überhaupt geschafft?
Sie konnte an den Minen der Ordensmitglieder nicht ablesen, ob sie wütend waren.
Zumindest hatte sie den Bösewicht außer Gefecht gesetzt, als er kurz davor gewesen war, Alec zu töten; die Todesser würden bald hinter Schloss und Riegel und Theos Vater mit Glück bald gerettet sein.
Mit diesen hoffnungsvollen Gedanken spürte sie, wie sie vorsichtig in einen der Kamine geschoben wurde und eine Prise Flohpulver in die Hand gedrückt bekam. Sie hörte sich selbst, so klar und deutlich, wie es ging, „Grimmauldplatz Nr.12!“ sagen und fühlte schließlich warme grüne Flammen an ihren Beinen hochzüngeln.
Süßlicher Modergeruch stieg ihr in die Nase, als sie auf dem harten Steinboden des Kamins im neuen Hauptquartier aufschlug. Sie war noch nie hier gewesen, wusste aber aus den Gesprächen im alten Hauptquartier, dass Sirius dem Orden dieses Haus zur Verfügung gestellt hatte. Dichte Spinnenweben zogen sich durch die Ecken der Wände, an denen sich die Tapete löste und Ratten aus kleinen Löchern hervorlugten. Offenbar war dieses Haus lange nicht mehr bewohnt gewesen und erst vor kurzem wieder bezogen wurden.
„Carina, oh Gott sei Dank!“ Mrs. Weasley kam um einen Tisch herum und umarmte sie so herzlich, dass ihr fast die Luft wegblieb.
„Danke... aber... nicht so doll...“, war alles, was sie hervorbrachte.
Wieder züngelten die Flammen im Kamin, und Lupin erschien. „Hallo Molly“, sagte er und endlich ließ Mrs. Weasley sie los. „Keine Sorge, wir sind alle wieder da. Nur – bitte erschreck dich nicht, wenn Alec gleich ankommt.“
„Wieso, was ist mit ihm passiert? – Oh mein Gott!“ Mrs. Weasley fasste sich ans Herz, als Alec aus den züngelnden grünen Flammen trat und Lupin ihn auffing. Sofort ging sie an einen Schrank, um medizinische Versorgung zu holen. „Wie ist denn das passiert?“, rief sie über die Schulter hinweg.
„Macnair“, sagte Carina. „Alec hat sich auf ihn gestürzt, um mich zu retten.“
„Der Arme hat so viel Blut verloren, dass er ohnmächtig wurde“, sagte Lupin. „Wir mussten ihn erst wieder aufpäppeln, damit er zu Bewusstsein kommt. Was er jetzt braucht, ist viel Wasser und Schlaf.“
„Ganz meine Meinung“, pflichtete sie ihm sofort bei, als Moody gerade im Kamin erschien.
„Arthur, Kingsley und Tonks kommen später“, sagte er. „Sirius kommt gleich, und dann beraten wir, wie wir weiter vorgehen.“
„Aber ohne die beiden“, sagte Mrs. Weasley und deutete auf Carina und Alec. „Sie brauchen Ruhe, auch Carina.“
„Nein, wir müssen alles wissen. Alles, was passiert ist. Ohne Ausnahme.“
„Das kann bis morgen warten. Schau sie dir an, sie fallen gleich um vor Müdigkeit. Sie vergessen doch die Hälfte von dem, was sie uns erzählen müssten“, fügte sie noch hinzu, und Moody, der gerade den Mund aufgemacht hatte, schloss ihn wieder und nickte dann zustimmend.
„Stimmt, ausgelassene Details können wir uns nicht leisten. Und das Gröbste wissen wir ja schon.“
„Na also“, sagte Mrs. Weasley. „Also ihr beiden, hopp hopp ins Bett. Ich bring euch hoch.“
Noch vor zwölf Stunden hätte Carina lautstark gegen den Vorwurf protestiert, sie sei zu müde für irgendwas. Aber unter diesen Umständen war sie einfach nur dankbar dafür, endlich ruhig schlafen zu können. Sobald sie das Schlafzimmer erreicht hatten, ließen sich beide aufs Bett fallen, und beide schliefen innerhalb von fünf Minuten ein.
Als Carina am Morgen erwachte, wusste sie ein paar Sekunden lang nicht, wo sie war. Bei sich zu Hause? Beim Zollamt?
Dann erinnerte sie sich an den vergangenen Abend und daran, dass sie sich im Hauptquartier befanden. Sie blieb ein paar Sekunden reglos liegen.
Alec schlief noch; er sah immer noch reichlich mitgenommen aus und Carina beschloss, ihn in Ruhe zu lassen. Da von unten schon gedämpfte Stimmen zu hören waren, stand sie leise auf und schlich auf Zehenspitzen hinaus. Nachdem sie sich im Badezimmer etwas Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, fühlte sie sich wieder halbwegs lebendig und bereit für das Kreuzverhör, das unweigerlich folgen würde.
Aus der Küche drang der Geruch von Tee und Kaffee, als Carina langsam die Treppe hinunter ging.
Nun hatte sie einen klareren Kopf als gestern und war gespannt darauf, zu erfahren, was besprochen worden war, nachdem sie und Alec zu Bett gegangen waren.
Als sie die Tür öffnete, verstummten alle Gespräche. Sirius, Lupin, MadEye, Kingsley und Tonks saßen mit dampfenden Tassen am Tisch; Arthur half seiner Frau beim Vorbereiten des Frühstücks.
„Carina, Liebes“, sagte Molly lächelnd.
„Du hast bestimmt Hunger! Es dauert nicht mehr lange. Ich vermute, Alec schläft noch?“
Carina nickte. „Ja, nach gestern hat er echt etwas Erholung verdient.“
Ihr Lächeln verwandelte sich in einen besorgten Gesichtsausdruck.
„Oh ja, mir wurde gestern Abend alles erzählt. Aber es hätte ja so viel schlimmer sein können! Wenn ich daran denke, dass dieser schreckliche Brian –“, sie brach ab und schüttelte den Kopf, „aber zum Glück hast du ihn ja in letzter Sekunde mit einem Schockzauber getroffen. Wirklich heldenhaft!“
Carina zwang sich zu einem Lächeln. Sie fühlte sich nicht heldenhaft. Überhaupt nicht.
Ihr fiel etwas ein.
„Tonks? Kingsley? Was ist mit den Todessern?“
„Sie sind jetzt in einer Gefängniseinrichtung im Ministerium, wo sie befragt werden und die Untersuchungen laufen“, antwortete Tonks. „Aber keine Sorgen, sie haben von dort keine Chance, noch einmal zu entkommen.“
Carina nickte erleichtert und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Sie spürte, dass alle Augen auf sie gerichtet waren – besonders das magische Auge von Moody schien sie wieder einmal von Kopf bis Fuß zu röntgen – und holte tief Luft.
„Ich glaube, wir sind euch ein paar Erklärungen schuldig.“
„Da hast du verdammt Recht“, brummte Moody, und Carina begann zu erzählen.
Sie erzählte davon, wie sie den konstruierten Streit zwischen Brian und Egrig belauscht hatten; wie sie den Kobold befragt und falsche Schlüsse gezogen hatten, wie sie auf die Spur von Urg dem Unsauberen gekommen waren und im Archiv nach weiteren Informationen hatten suchen wollen; wie Carina die beiden Todesser bei den Kaminen belauscht hatte, wie sie ausgerechnet Brian mit zum deutschen Zaubereiministerium genommen und ihn dann verloren hatten, wie sie ihren Weg ins Archiv durch Decknamen erlogen hatten und wie sie schließlich von den drei Todessern übermannt worden waren.
Als Carina fertig war, schwiegen die Mitglieder des Ordens eine Weile.
„Und?“, fragte sie besorgt. „Sind – sind wir die schlechtesten Geheimagenten der Welt?“
„Die Menschen, die für die Aufstände verantwortlich waren, wurden jetzt unschädlich gemacht“, sagte Lupin bedächtig. „Das kann man durchaus als Erfolg werten. Im Prinzip habt ihr eure Aufgabe erfüllt.“
„Aber –“, murmelte Carina.
„ABER“, sagte Moody scharf und haute mit der Faust auf den Tisch, „ihr habt uns nicht einbezogen! Ihr habt uns nichts von euren Erkenntnissen berichtet und erst über euren kleinen Ausflug informiert, als ihr in der Klemme gesteckt habt! Wir hatten eine Abmachung und ihr habt euch nicht daran gehalten.“
„Ja“, sagte Carina kleinlaut. „Es tut mir leid. Und Alec auch.“
Moody haute noch einmal mit der Faust auf den Tisch. „Das will ich hoffen! Deinem Freund werde ich auch noch die Ohren langziehen, ich kann mir nämlich vorstellen, dass er nicht ganz unschuldig ist, was die Alleingänge angeht. Ich kann verstehen, dass ihr euch von Brian Glinsky in die Irre führen lassen habt. Jeder Auror macht solche Fehler, selbst ICH habe schon Schuldige für unschuldig, und Unschuldige für schuldig gehalten. Aber es ist wichtig, Carina, auch für zukünftige Aufträge: Ihr müsst uns Bescheid sagen!“
Carina nickte ernst. Sie verstand das und war sich sicher, dass sie es nicht wieder tun würde. Aber sie konnte ein Lächeln nicht verkneifen: MadEye hatte „zukünftige Aufträge“ gesagt.
Alec erschien eine halbe Stunde später am Frühstückstisch. Er sah immer noch ziemlich mitgenommen aus, auch wenn die Medizin von Molly am Abend dafür gesorgt hatte, dass die Wunden bereits wieder verheilten. Er würde jedoch dauerhaft Narben behalten, sagte Moody, woraufhin Molly ihm einen bösen Blick zuwarf und stattdessen meinte, er würde bald wieder genauso aussehen wie vorher.
Nachdem er etwas gegessen hatte und Moody ihm eine donnernde Moralpredigt zum Thema Alleingänge und Regeln gehalten hatte, bereiteten sie sich auf einen letzten Ausflug nach Oberwiesenthal vor. Kingsley und Lupin würden Carina und Alec begleiten.
„Ich glaube, wir müssen Theo einiges erklären“, sagte Lupin. „Vor allem, was mit ihrem Vater passiert ist.“
„Mit Anthony? Was ist mit ihm?“, fragte Carina, obwohl sie die Antwort bereits zu kennen glaubte.
Lupin schüttelte nur mit dem Kopf und bestätigte damit ihre Vermutungen. „Gar nicht schön“ war alles, was er dazu sagte.
Also machten sie sich auf dem Weg. Für den Hinweg nutzten sie Flohpulver, da dies ohne Gepäck am schnellsten ging. Als sie alle angekommen waren, traten sie hinaus ins Freie und liefen auf die Haupthütte zu. Auf halben Weg öffnete sich die Tür und Theo kam herausgestürmt.
„Um Himmels Willen! Alec, Carina! Wo wart –?“ Sie brach ab, als sie Alec genauer ansah. „Was ist passiert?“
„Carina und Alec werden ihre Sachen zusammenpacken und abreisen“, sagte Kingsley mit seiner beruhigend tiefen Stimme. „Wir werden Ihnen inzwischen alles erklären.“
„In Ordnung“, sagte Theo beunruhigt und ging voraus in die Hütte. Dort führte sie Lupin und Kingsley in ihr Büro, während Alec und Carina nach oben gingen.
„Los, beeil dich!“, sagte Alec als sie den Flur entlang zu ihrem Zimmer liefen.
„Wieso, was ist denn?“, fragte Carina und sah ihren Freund verwundert an.
„Ich will wissen, was sie ihr erzählen. Vielleicht haben sie sogar schon herausgefunden, wer Brian wirklich ist. Und ich habe keine Lust darauf, diese Dinge nicht erfahren zu können.“
Carina musste grinsen. Gerade eben erst wurde Alec von Moody zurechtgewiesen, sich unbedingt an vereinbarte Regeln zu halten, und schon war seine Neugier über Dinge, die nicht für seine Ohren bestimmt waren so groß, dass er sich wieder einmal darüber hinwegsetzte.
„Okay, ich beeil mich“ rief sie und warf ihre Sachen hastig in den Koffer.
Bald hatten die beiden ihre Sachen zusammen gepackt. Bevor Carina ihrem Freund in den Flur folgte, warf sie einen letzten Blick in das leere Zimmer. Obwohl es nicht besonders lange ihre Herberge gewesen war, spürte sie doch eine leichte Ergriffenheit, davon Abschied nehmen zu müssen. Abschied zu nehmen von ihrer ersten Mission, ihrem ersten Auftrag, ihrem ersten kleinen Abenteuer.
„Cari?“, rief Alec ungeduldig, und wenig später erreichten die beiden etwas außer Atem mit ihren Reisetaschen das Büro von Theo.
Alle Farbe war aus dem Gesicht der jungen Frau gewichen, während Kingsley ihr alles erzählt hatte; und überrascht stellten Carina und Alec fest, dass noch andere Bewohner des Zollamts im Raum waren. Martha, die Köchin, tätschelte ihr beruhigend die Hand; der alte Steve schüttelte stumm den Kopf und Karl schnäuzte sich die Nase, als die Beiden eintraten.
„Carina! Alec!“, sagte Theo augenblicklich mit gebrochener Stimme.
„Ich... WIR haben alles erfahren. Ich bin ja so froh, dass euch nichts passiert ist!“
Sofort hatte Carina einen Kloß im Hals, und auch Alec schaute betreten zu Boden.
„Theo... es tut uns so leid. Wir... wir konnten leider nichts mehr für deinen Vater tun. Wir konnten ihm nicht helfen.“
Theodora blinzelte ein paar Tränen aus den Augen und lächelte. „Wie ich gehört habe, war das ja auch nicht mehr möglich. Ihr habt so viel getan, wie ihr konntet, und dafür bin ich euch unendlich dankbar. Außerdem... außerdem hat das ewige Warten auf Neuigkeiten jetzt ein Ende. Und ich weiß, dass Dad... dass er für das gestorben ist, wofür er ein Leben lang gekämpft hat. Und, so wie ich ihn kenne, war er sogar irgendwie stolz darauf.“
Steve brummte zustimmend; Martha murmelte andächtig so etwas wie „so ein Dummkopf“ und Karl schnäuzte sich noch einmal die Nase.
„Ich musste auch den dreien alles erzählen“, raunte Kingsley ihnen zu. „Sie haben sich unglaubliche Sorgen um euch gemacht und haben darauf bestanden, alles zu erfahren, als sie hier plötzlich reingeplatzt sind.“ Es war leichte Missbilligung in seiner Stimme zu hören, aber Carina und Alec mussten lächeln.
„Ähm, was ist mit Brian?“, fragte Carina vorsichtig. „Hat man inzwischen herausgefunden, wer er ist?“
„Ja, allerdings. Sein richtiger Name ist Jason Rutherford – es war schwer, dies herauszufinden, da er nicht ein einziges Mal in der Liste der identifizierten Todesser auftaucht. Er ist anscheinend brandneu dazu gekommen, sonst hätte man schon etwas von ihm gehört. Seine Mutter ist eine reinblütige amerikanische Hexe namens Jasmine Rutherford – er hat ihren Namen angenommen und vorerst in Amerika gelebt.“
„Zumindest das war nicht gelogen“, murmelte Alec und rollte mit den Augen.
„Sein Vater ist ein Todesser namens Selwyn – offensichtlich haben die beiden vor einigen Monaten Kontakt aufgenommen und Jason hat sich sogleich den Todessern angeschlossen. Er muss gut gewesen sein, sonst hätte Ihr-wisst-schon-wer ihn, als Neuling, nicht zusammen mit Carrow und Macnair hier eingesetzt.“
„Ich war so blind“, knurrte Steve und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Seit Monaten habe ich mit diesem Mistkerl zusammen gearbeitet, und niemals ist mir auch nur annähernd etwas aufgefallen!“
„Sie haben uns alle hinters Licht geführt. Wir hätten das nicht erkennen können!“, sagte Theo entschlossen. „Hauptsache ist doch, dass wir nun keine Verräter mehr unter uns haben und wieder sicher sind. Und ich weiß genau, wem wir das zu verdanken haben.“
Obwohl Carina konzentriert auf ihre Schuhspitzen starrte, wusste sie genau, dass alle Augen auf sie und Alec gerichtet waren. Als sie den Kopf hob und Alecs Blick auffing, grinsten sich die beiden schief an. Sie hatten den gleichen Gedanken. Sie hätten zwar einiges – vieles – besser machen können... aber zumindest war es ein Anfang. Sie würden noch viele Gelegenheiten bekommen, alles richtig zu machen – außerdem gaben Theo, Martha, Karl und Steve ihnen das Gefühl, bereits jetzt etwas erreicht zu haben. Etwas Gutes getan zu haben.
Wenige Minuten später befand sich die kleine Gruppe außerhalb der Zollamt-Hütten.

2018 01 29 08 50 58

Umarmungen wurden ausgetauscht; Steve versprach feierlich, Egrig und Agnas zu grüßen, und Carina und Alec versprachen im Gegenzug, bei jeder Reise nach Deutschland einen Abstecher bei ihnen zu machen.
„Es wird Zeit“, sagte Kingsley schließlich mit seiner tiefen Stimme und deutete auf die Tür, die zu den Kaminen führte.
Carina und Alec schulterten ihre Reisetaschen und winkten den anderen ein letztes Mal zu.
„Miss McMay?“, sagte Alec und hielt ihr die Tür auf. „Ich glaube, unsere großartige Karriere als Geheimagenten hat gerade erst angefangen.“
Carina grinste. „Glaube ich auch.“
Und Hand in Hand gingen sie hinein.


ENDE 

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